Foto: Galerie Schlichtenmaier © Willi - Galerie Schlichtenmaier © Willi Baumeister / VG Bild-Kunst, Bonn

„Willi Baumeister international“ heißt 2013 eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart. Als spätes Echo bestätigt nun ein selten gezeigtes Bild Baumeisters Rang.

StuttgartEine kühne Linie umreißt eine leicht nach rechts gebeugte Figur. Aus einem Schiefertafel-Quadrat wächst eine schlanke Gerade. Ein kleiner schwarzer Punkt markiert deren Ende, markiert den Kopf und zugleich das Gehirn einer kleinen Flächenfigur. Ein Ideal ist diese gewollte Form der Idee des neuen Menschen, wie sie in den 1920er-Jahren zuvorderst die Freunde Oskar Schlemmer, Otto Meyer-Amden und Willi Baumeister formulieren. Das linke Bein der Umrissfigur ruht auf einem kleinen Sockel, der doch zugleich ein plastisches Hochoval trägt, die mögliche Rückansicht eines Kopfes, der zugleich den engen Dialog des Stuttgarter Trios etwa mit dem Werk von Constantin Brancusi (1876-1957) zeigt.

Mittig fällt ein mit Farbkreisen besetztes Rechteck auf, eine Maler-Palette offensichtlich, zentral von Primärfarben bestimmt. Ein Hinweis in anderer Richtung - auf die niederländische De-Stijl-Bewegung. Gerahmt fast werden die Primärfarben von Erdfarben – in den „Mauerbildern“ zuvor etwa Willi Baumeisters Antwort auf die Frage, ob und wie sich malerisch mit den Mitteln der Gegenwart der 1920er-Jahre Bezüge zu den ersten greifbaren Zeugnissen menschlichen Kunstwollens herstellen lassen.

Willi Baumeisters Bild „Maler mit Palette IV“ ist gespickt mit Verweisen, ist als Malerei zugleich eine Collage über die Äußerungsmöglichkeiten der Gegenwartskunst seiner Zeit. Dazu gehört die Bild-im-Bild-Struktur ebenso wie die von der lockenden Figuration losgelöste, ja völlig eigenständige Raumkonstruktion. Erdige Farbflächen schieben sich übereinander, ineinander und rücken so fast nebenbei die Linienfigur und ihre geometrisch-konzeptuellen Gegengewichte in den Blick.

Ein besonderes Bild

Mit gutem Grund formuliert der Berliner Baumeister-Galerist Klaus Gerrit Friese: „Der Kunst der Prähistorie galt seine Aufmerksamkeit wie dem Bühnenbild zeitgenössischen Theaters – ein Künstler ohne Berührungsscheu, der bei jeder Begegnung mit dem Anderen bei sich blieb.“ Und: „Diese Kunst hat unglaublich viel Zeitgenössisches. Diese Kunst, die ein Jahrhundert alt ist, ist so frisch und berührend stark wie die Kunst kaum eines anderen Künstlers seiner Generation.“ „Maler mit Palette IV“ ist ein besonderes Bild, ein Werk, das „Baumeister international“ erlebbar macht und zugleich die gänzliche Eigenständigkeit Willi Baumeisters im Konzert der europäischen Moderne der 1920er-Jahre betont.

„Maler mit Palette IV“ erweitert den zuletzt stark auf die schwebenden Formen einerseits und die mit gutem Grund gefeierten „Montaru“-Bilder andererseits konzentrierten Blick auf Baumeister, es macht deutlich, wie der 1955 überraschend in seinem Atelier gestorbene Künstler seiner die Diskussionen der 1950er-Jahre bestimmenden Programmschrift „Das Unbekannte in der Kunst“ (1947) ein Bildprogramm vorausschickt, das die Utopie eines universell friedlichen Menschenbildes mit den Fragestellungen einer von Konstrukten bestimmten Welt verbindet. Lange Zeit in Privatbesitz, ist das Werk nun in der Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart zu sehen. Tänzelnd und keck fast entführt das Bild uns im Eiltempo rückwärts durch fast ein Jahrhundert mitten hinein in einen gemalten Aufbruch, der radikal alle Bildheiligkeit meidet.

„Besondere Werke aus Galeriebestand“ verspricht die Schau aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Galerie Schlichtenmaier – und Baumeisters „Maler mit Palette IV“ löst diesen Anspruch aufs Schönste ein. Zu sehen nun im unmittelbaren Dialog mit Horst Antes’ „Rote maskierte Figur vor Ocker“ von 1975 und dem Großformat „Jedes wahre Bild hat seinen Schatten, der es doubelt . . .“ von Walter Stöhrer von 1976, markiert Willi Baumeisters „Maler mit Palette IV“ ein Ereignis im besten Sinn.

Für die Galerie kommentiert Moderne-Spezialist Günter Baumann das Bild, dessen öffentliche Präsenz die zuletzt für Baumeister-Hauptwerke aufgerufenen Preise von bis zu deutlich mehr als 200 000 Euro erreichen dürfte, wichtiger aber: sie unmissverständlich begründet.

Willi Baumeisters „Maler mit Palette IV“ ist zu sehen in der Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart – in der Schau „Classic“ (Di-Fr 11-19, Sa 11-17 Uhr). Mehr unter: www.schlichtenmaier de