Foto: Lichtgut/Leif Piechowski - Lichtgut/Leif Piechowski

Die 80er-Jahre-Pop-Ikone Kim Wilde hat ihre Fans im Stuttgarter Theaterhaus auf eine Zeitreise zurück in ihre Glanzzeiten entführt – und sie sogar vor Aliens beschützt.

StuttgartSie war eine der größten Ikonen des britischen Pop, Aushängeschild des 80er-Jahre-Rocks, Traumfrau einer ganzen Generation. Kim Wilde wurde, als sie 1981 in die Musikszene eindrang, raketenartig Pop-Königin. Ab Ende der 80er Jahre blieb der große Erfolg für die Blondine aber aus: Statt Chartplatzierungen war Landschaftsgärtnerei angesagt. Zwar erschienen in längeren Abständen immer wieder respektable Alben – doch im Grunde war die heute 57-jährige gebürtige Kimberly Smith abgeschrieben.

Eigentlich. Denn ihr neues Album ist hervorragend. „Here come the Aliens“ ist ohne Übertreibung ein Leitpfosten auf ihrem außergewöhnlichen Karriereweg. Das Werk ist eine Synthese aus dem gepflegten Kim Wilde-Sound der 80er und den aktuellen Titeln der Pop-Charts, mit griffigen Melodien und kompakten Arrangements. Und es kommt mit einem wunderbar cineastischen Cover daher. Wie ein B-Movie aus den 50er oder 60er Jahren. Und so ist auch das knapp zwei Stunden lange Konzert im nahezu ausverkauften Stuttgarter Theaterhaus: eine rasante und wunderbare Zeitreise. Mit Karacho zurück in die Achtziger.

Stellvertretend dafür steht „Kandy Krush, ein treibender Popsong, scheinbar direkt aus den 80ern importiert. Seine Vibes erinnern nicht zufällig an Wildes Top-Hit „Kids In America“. Nicht nur dieses Lied wird von Wilde live gehörig auf links und heavy-laut gedreht. Auch weitere neue Songs wie der krachende Opener „Stereo Shot“ oder „Yours till the End“ mit einem ähnlich harmonischen Profil wie Daft Punks „Get Lucky“ rocken, gleichwohl das Album alles andere als eine Rockplatte ist. Die in London geborene und in Hertfordshire lebende Engländerin wird von ihren Rock’n’Roll-Wurzeln immer stärker beeinflusst, je älter sie wird.

Es kommt selten vor, dass neue Stücke so gut in ein Greatest-Hits-Programm passen wie bei Kim Wilde. Allerdings goutieren die 1400 Fans die neuen Songs mit vornehmer Zurückhaltung, während sie bei alten Krachern wie „Water on Glass“ oder „Never trust a Stranger“ deutlich machen, dass sie doch mehr auf den stimmgewaltigen, kernigen Power-Pop mit Eighties-Flair und Rock-Riffs stehen. Für die treibenden Gitarren ist Kims ein Jahr jüngerer Bruder Ricky verantwortlich, der das aktuelle Album auch produziert hat. Seine Riffs dröhnen gegen eine insgesamt siebenköpfige, ungemein spielfreudige Band an, die mit gleich zwei Schlagzeugern ordentlich in die Magengrube tritt. Rickys Tochter Scarlett, Kims Nichte, sorgt zudem als Background-Sängerin für Wirbel und hat auch das Album-Cover illustriert. Recht viel Familie also auf der Bühne.

Kims Stimme hat sich gegenüber 2014, als sie im Rahmen der „Rock meets Classic“ zuletzt in Stuttgart aufgetreten ist, wenig verändert. Wilde klingt noch immer unverwechselbar, klar, schneidend wie ein Laserstrahl und vor allem in den Höhen charismatisch wie bei den Balladen „Cambodia“ und „Solstice“. Ein Hinhörer ist sie noch immer – ein Hingucker sowieso. Selbst mit 57. Ausgelassen tänzelt die platinblonde, anfänglich sonnenbebrillte Sirene über die Bühne und hat dabei immer ein Strahlen im Gesicht.

Das Konzert promotet jedoch nicht nur ihr aktuelles Album. Es ist auch ein Reminiszenz-Gig, eine rauschende Achterbahnfahrt durch ihre 80er-Jahre und ihre teils gassenhauerischen Qualitäten. Als nach der völlig missratenen Remix-Version des düsteren „Cyber.Nation.War“ die ersten Takte von „View from a Bridge“ erklingen, sind alle Fans schlagartig tanzbereit und genießen die Pop-Rock-Magie, für die Kim so geliebt wird. Mit den denkwürdigen Hits „Chequered Love“ in einer Highspeed-Variante und „You came“ in einer triumphalen Version katapultiert Wilde das Konzert in die Sphären einer Kult-Party. Die Klassiker klingen noch so frisch und unbeschwert wie vor über dreißig Jahren. Das gilt auch für das unvergleichliche Supremes-Cover „You keep me hangin’ on“. Das Publikum erlebt seine Jugend im Kurzdurchlauf, der Spaß ist riesengroß.

Vergessen das kurze Akustik-Set zu dritt im Familienverbund, als die Stimmung für Momente in den Keller ging. Die Präsentation von „Hey Mr. Heartache“ und „Four Letter Words“, beide aus dem Album „Close“ von 1988, ist zwar charmant, aber dramaturgisch deplatziert: Der Diskogroove wird zu lange unterbrochen. Letztlich ist es jedoch nur eine Petitesse in ihrer unterhaltsamen Show, die sie mit der kraftvollen Mondlandungs-Hommage „1969“ regulär beschließt. Auslöser für den Song war eine scheinbare Ufo-Begegnung 2009 in ihrem Garten – Wilde glaubt seitdem felsenfest an Aliens. Allerdings macht sie sich live lustig darüber. Mit einem Strahlenlaserkanönchen aus Plastik und im schwarzen „Barbarella“-Lederdress will sie das Publikum vor jenen Außerirdischen schützen.

Die Zeitreise endet natürlich mit dem Wave-Pop-Knaller „Kids in America“, ihrem bahnbrechenden Hit von 1981. Der mitreißende Song elektrisiert und in diesem langgezogenen Moment ist sie wirklich ganz wild, die Wilde. Zuvor hat sie als erste Zugabe „Pop Don’t Stop“ intoniert, das schönste Lied des neuen Albums. Ein sofort ins Ohr gehender Popsong mit Anleihen an die großen Hits der 80er-Jahre und musikalischen Zitaten wie „Video killed the Radio Star“. Pop don’t stop, so soll es sein.