Sie killt alles, was ins Haus kommt: Gwen Langenberg als Untote mit Yannick Greweldinger als Freund ihrer Schwester. Foto: Guenther Groeger Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Im Schrank wimmert ein Kind, die gerahmten Bilder wandern auf den Wänden, der Fernseher springt plötzlich an... Das sind die ersten Zeichen, dass etwas nicht stimmt mit diesem verlassenen Haus. Bald schwebt ein unheimliches Mädchen durch die Nacht, dann läuft eine abgehackte Hand über den Boden und das Blut spritzt in Fontänen: Jakop Ahlboms „Horror“ ist eine Liebeserklärung an den Horrorfilm und gleichzeitig ein staunenswertes Theaterstück ganz ohne Sprache, mit ausgefeilter Bewegungschoreografie, Projektionen und einem mächtigen Soundtrack, eine Mischung aus Nostalgie und Special Effects.

Der schwedische Regisseur und Theatermacher kommt im Grunde von der Pantomime. Sein versponnen-gefährlicher „Lebensraum“ war 2015 beim ersten Colours-Tanzfestival im Theaterhaus zu Gast, hier nun hat das Unheimliche völlig die Macht ergriffen. Mit zwei Freunden kommt eine junge Frau in ein verlassenes Haus, das sie offensichtlich von früher kennt. Nach und nach erfahren wir die Geschichte eines schweren Kindheitstraumas, ihre verlorene Schwester irrt als bleiches, stumm schreiendes Geistermädchen durchs Haus und killt alles, was sich hineintraut.

Warten auf das Unvermeidliche

Das großartige Geisterhaus hat Ahlbom gemeinsam mit Douwe Hibma und Remco Gianotten selbst geschaffen. Eine durchsichtige Projektionswand und ein Vorhang öffnen weitere Räume und überblenden reales Geschehen mit gespensterhaften Bildern. Ein wahrhaft filmreifer Soundtrack liefert die atmosphärische Untermalung, von traurigen Spieluhrklängen über mächtigen Gewitterdonner bis zu laut wummerndem Rock, der fast amüsiert eine Splatter-Orgie begleitet. Live auf der Bühne bekommen wir all die Horror-Zutaten geboten, die man aus einschlägigen Filmen kennt, von „Rosemarys Baby“ bis „Carrie“, vom „Exorzist“ zu „The Ring“, sogar das „Blair Witch Project“ wird zitiert. Genau wie im Kino quält einen auch hier vor allem die Macht der Vorstellungskraft, das Warten auf das Unvermeidliche.

Mit subtil eingesetzten Ton- und Lichteffekten, mit Blackouts oder plötzlichem Flimmern rollt Ahlbom die Vergangenheit auf. Die Toten erscheinen unvermittelt und überall, sie schweben aus dem Schrank oder kriechen aus dem (weiterhin funktionierenden!) Fernseher, krabbeln aus der Couch oder tauchen aus der gefüllten Badewanne, lösen sich buchstäblich in Luft auf. In ausgedehnten Stunt-Kämpfen prallen Geister und Menschen aufeinander, ein zufällig eintreffendes Brautpaar wird ebenso zum Opfer wie die Freunde des Mädchens. Da stecken Scheren in Hälsen und Messer in Rücken, da werden Zungen, Adern und Gedärme aus den Menschen herausgezogen, das Kunstblut spritzt nur so - und doch liegt der wahre Horror in der Grausamkeit des bleichen, kalten Elternpaares, das seine Töchter quält.

Gespielt wird das alles bis hin zu einem futuristischen Trupp von identischen Kahlköpfen, von acht großartigen Darstellern, deren Namen man leider nicht mal auf einem winzigen Programmzettelchen erfahren kann. Deshalb seien sie hier genannt: Silke Hundertmark als traumatisiertes Mädchen, Gwen Langenberg als ihre unheimliche Schwester, Yannick Greweldinger und Maurits van den Berg als ihre Freunde, Reinier Schimmel und Sofieke de Kater als Brautpaar, Luc van Esch und Judith Hazeleger als harte Eltern. Die langjährigen Ahlbom-Zöglinge sind Tänzer, Pantomimen und Schauspieler, mit feinstem Timing perfekt aufeinander abgestimmt, sie haben Sinn für große Effekte und stilles Leiden.

Bei der Premiere im Theaterhaus stöhnte das Publikum nur an ein, zwei Stellen entsetzt auf, der Grusel kommt in „Horror“ eher leise, über manches kann man auch herzhaft lachen. Fast noch aufregender als die spannende Geschichte ist die Entfesselung des puren Theaterzaubers, denn selbst die hartgesottensten Horrorfreaks können an manchen Stellen nicht erklären, wie es gemacht wird, wie der Geist sich auflöst oder die Hand im Hals verschwindet. Die Schlusspointe fällt dann fast nachdenklich aus.

Bis Sonntag täglich im Theaterhaus.