Die Kafka Band heißt nicht ohne Grund so: Foto: Veranstalter - Veranstalter

Die Kafka Band aus der Stuttgarter Partnerstadt Brünn hat Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ zu einem Album verwandelt. Im Stuttgarter Kammertheater stellte sie das Opus mit seinen wuchtigen, dunklen Tönen vor.

StuttgartAmerika – die Schrift erscheint in großen, weißen Lettern vor einem weiten, blauen Himmel. Vor über 100 Jahren schon konnte sich Amerika in der Fantasie Franz Kafkas vom Traum zum Alptraum wandeln. Aus Brünn, der zweitgrößten Stadt Tschechiens, kommt die Kafka Band. Am Montag stellte sie im Stuttgarter Kammertheater vor dem weiten Horizont ihr neues Album vor: „Amerika“ heißt es, wie Kafkas Romanfragment.

Sechs Jahre sind vergangen, seitdem der Plan zur Gründung der Kafka Band reifte, spät nachts in einer Kneipe am Rande der Leipziger Buchmesse – Erwin Krottenthaler vom Literaturhaus Stuttgart erinnert sich daran. Dort, im Literaturhaus, trat die Kafka Band im November 2013 erstmals auf, präsentierte Songs, inspiriert von Kafkas Roman „Das Schloss“, im Rahmen der Ausstellung „K:KafKa in Comics“. Zu den Zeichnern gehörte Jaromir 99, heute Sänger der Kafka Band.

Nun also jener unvollendete Roman, der zwischen 1911 und 1914 entstand, eigentlich „Der Verschollene“ heißt und 1927 von Max Brod aus dem Nachlass des Autors unter dem Titel „Amerika“ veröffentlicht wurde – die Geschichte eines jungen Menschen, dessen Spur sich in einem surrealen Amerika verliert. Kafka selbst war nie in den USA, trug sich aber früh schon mit dem Plan, einen Amerika-Roman zu verfassen über das Ziel vieler Auswanderer, die ihre Heimat zumeist verließen, um ein besseres Lebens zu finden. Aus den böhmischen Ländern sollen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehr als 200 000 Menschen in die USA gezogen sein.

Karl Roßmann, Kafkas Hauptfigur, geht nicht freiwillig. Er hat als 16-Jähriger ein Dienstmädchen geschwängert und wird von seiner Familie in die Neue Welt abgeschoben. Kafkas Amerika ist ein Wuchern bizarrer Mechanismen und Hierarchien, in dem Karl Roßmann immer absurdere Erniedrigungen erfährt, von einem reichen Onkel erneut verstoßen, von Arbeitgebern ausgenutzt, von Weggefährten verraten, ehe er die Weite Amerikas entdeckt und im rätselhaften Naturtheater von Oklahoma – einem Totenreich – vielleicht ein neues Zuhause findet.

Die Kafka Band verwandelt die Bilder dieses ewigen Exils in wuchtig-dunkle Songs, die sich irgendwo zwischen Techno, Industrial, Dark Wave und Folklore positionieren. Jaromir 99 und Jaroslav Rudis singen oft in ihrer Heimatsprache, und obwohl Kafka zur deutschsprachigen Minderheit in Prag gehörte, erscheinen die Sätze seines Romans in tschechischer Sprache als Projektionen vor dem weiten Himmel. Der Prager Videokünstler VJ Clad begleitet den Auftritt der Band mit Bildern von kühler, gewaltiger Abstraktion. Sie kreisen um virtuelle Wolkenkratzer, blicken auf Slums und Ebenen, dicht besiedelt mit niedrigen Hütten, lassen bedrohliche Maschinen tanzen.

Auch die Musik der Kafka Band verbindet Gefühle von Weite und Bedrohung miteinander. Refrains voll emotionaler Kraft steigen auf aus dem hypnotischen Flirren der Gitarren- und Schlagzeugklänge; die Stimme von Jaromir 99 klingt sehnsüchtig weich, Jaroslav Rudis blättert im Roman, liest aus ihm, Vocoder-Stimmen schalten sich verzerrt ein. Zuletzt leuchtet ein einzelnes „A“ vor dem wieder blauen Horizont im Kammertheater.

Mit dem Konzert feiert Stuttgart auch seine Städtepartnerschaft mit Brünn. Mit zwei weiteren Veranstaltungen will das Literaturhaus Stuttgart die Freundschaft der Städte noch feiern: Am 2. April lesen Jaromir 99 und Jaroslav Rudis im Literaturhaus, am 21. Mai ist die Autorin Katerina Tuková im Haus der Heimat zu Gast.