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Joe Jackson feiert 40 Jahre Pop-Zirkus – Zeitlos magische Momente in der Stuttgarter Liederhalle

StuttgartEinen schönen Rahmen hat Joe Jackson sich ausgedacht für sein Jubiläumskonzert. Als Intro und zum Ausklang spielt er „Alchemy“, ein verwunschenes Stück Musik vom aktuellen Album „Fool“, das an den Glamour und die Filme des alten Hollywood denken lässt. Am Sonntagabend im ausverkauften Beethovensaal der Liederhalle erklärt Jackson das Stück so: „Alchemie ist der Versuch, aus Nichts etwas Magisches zu machen, und genau das probieren wir auch.“ 40 Jahre nach seinem ersten Album „Look Sharp!“ möchte er dieses und ein weiteres aus jedem Jahrzehnt in den Fokus nehmen, doch er hält sich nur zu Beginn und keineswegs sklavisch ans Konzept.

Die Idee zu seinem ersten Hit „Is she really going out with him“ kam Jackson, als er „New Rose“ hörte, die erste Single der Punkband The Damned und die erste britische Punk-Single überhaupt, die mit diesem – gesprochenen – Satz beginnt. In der Liederhalle klingt das Stück völlig frisch mit dreistimmigem Gesang: Der gestaltungsfreudige Bassist Graham Maby, seit 1979 ein treuer Wegbegleiter Jacksons, harmoniert stimmlich gut mit dem neuen Gitarrist Teddy Kumpel. Der erweist sich als Gewinn, denn er steuert genau das richtige Maß an Kante bei, um den Geist des Punkrock herauszukitzeln aus Jacksons frühen Stücken. Eine fulminante Version von „One More Time“ und am Ende eine von „Got the Time“, beide ebenfalls vom Debütalbum, zeigen: Hier steht ein Künstler auf der Bühne, der kein bisschen müde wirkt – im Gegenteil.

Jackson ist gut bei Stimme, seine Finger tanzen über die Tasten, die Band erweist sich als exzellent eingespielt. Immer wieder würde er gefragt, ob er nicht auf Solotournee gehen wolle, erzählt Jackson: „Ich sage dann: Nein, das ist so langweilig! Es macht viel mehr Spaß mit einer Band!“ Der umtriebige Schlagzeuger Doug Yowell vervollständig das aktuelle Quartett, und er spielt selten einfach nur Beats, sondern meist ausgeklügelte rhythmische Muster. Kumpels Gitarre schmiegt sich an die Keyboard-Parts an und konstrastiert sie zugleich, ohne je aufdringlich zu wirken, Maby pumpt permanent Energie in den Mix. Dynamisch spielt diese Band zusammen, alles greift perfekt ineinander.

Es ist die Besetzung des starken aktuellen Albums „Fool“. Den Titel bezieht Jackson auf Shakespeare, wie er erklärt: „Da geht es nicht um einen Idioten, sondern um einen Narren, der andere zum Lachen bringt und in Wahrheit schlau ist“, sagt Jackson. Der in Berlin lebende Brite in „Big Black Cloud“ rechnet mit den Populisten und Angstmachern der aus den Fugen geratenen Gegenwart ab, in der Ballade „Strange Land“ verarbeitet er seine Entfremdung von seiner früheren Wahlheimat New York.

Der Sound der 80er-Jahre lebt in „Another World“ wieder auf und im kompositorischen Kleinod „Real Men“, zwei Stücken vom Album „Night and Day (1982). Und auch diese Nummern fügt die Band geschmeidig ins Gesamt-Œuvre ein – an diesem Abend klingen die Songs aus 40 Jahren wirklich wie aus einem Guss, so unterschiedlich die Originale sein mögen. Das gilt auch für zwei Songs, aus denen sehr deutlich amerikanische Einflüsse scheinen, „Stranger than Fiction“ und „My House“ vom Album „Laughter & Lust“ (1991). „Citizen Sane“ und „Wasted Time“ vom Album „Rain“ (2008) komplettieren die Konzept-Reise durch die Jahrzehnte, dann widmen sich der Künstler und seine Mitstreiter ganz dem Freispiel in diesem äußerst geschmackvoll zusammengestellten Programm.

„Bin ja kein Oktopus“

Und es ist kein Wunder, dass diese Band auch Steely Dan spielen kann, als wäre das die einfachste Sache der Welt: Donald Fagan und Walter Becker seien große Einflüsse für ihn gewesen, sagt Jackson, und das hört man tatsächlich, vor allem in den Gesangslinien, bei einer blitzsauberen Interpretation von „King of the World“. Eine souveräne Verbeugung vor den Vorbildern ist das und der Nachweis einer Extraklasse, die den ganzen Abend über zu spüren ist. Jacksons erste Band – mit Gary Sanford an der Gitarre und Dave Houghton am Schlagzeug – wird immer das Original bleiben, die aktuelle aber könnte die kompletteste sein, mit der er je aufgetreten ist.

Das Stuttgarter Publikum ist längst aus dem Häuschen, es applaudiert und johlt, und der Künstler wirkt tatsächlich ein wenig angefasst: „Wir sind wirklich glücklich, dass ihr da seid nach all den Jahren“, sagt er. Zum Dank gibt es eine feine Version der Pop-Hymne „You can’t get what you want“ (1984) und eine schön rotzige von „I’m the Man“ (1979). In der „Ode to Joy“ (2015) verharren die vier in einer komödiantischen Einlage wie fotografisch eingefroren. Den Vogel schießen sie aber bei „Steppin’ out“ (1982) ab: Er habe damals alle Instrumente selbst eingespielt, erzählt Jackson, „und das ist live nicht so einfach, denn ich bin ja kein Oktopus“. Also bedient Maby das Original-Glockenspiel von damals, Yowell den Original-Drumcomputer, Kumpel ein zusätzliches Keyboard – nur der Synthesizer-Bass läuft als Playback. Da steht er für einen Moment wieder in voller Pracht, der Plastik-Sound der 80er. Und mit ihm ein Künstler, der gefeiert wird für seine vielen magischen Melodien, denen die Zeit anscheinend nichts anhaben kann.