Patrick Angus‘ „Boys Do Fall in Love“ aus dem Jahr 1984. Foto: Douglas Blair Turnbaugh Quelle: Unbekannt

Von Dietrich Heißenbüttel

Stuttgart - Der Stuttgarter Galerist Thomas Fuchs hat sich um das Werk von Patrick Angus verdient gemacht, das Kunstmuseum zeigt jetzt die weltweit erste große, museale Retrospektive: Der in North Hollywood geborene amerikanische Maler war der Chronist des schwulen New York der 1980er-Jahre. Als solcher hatte er zu Lebzeiten allerdings Schwierigkeiten, außerhalb der Schwulenszene Anerkennung zu finden. Außer in den privaten Galerien, die ihn vertraten, hat der 1992 im Alter von 38 Jahren an Aids verstorbene Künstler vor allem im dortigen Leslie-Lohman Museum of Lesbian and Gay Art und am Schwulen Museum in Berlin ausgestellt. Aus dieser Ecke holt ihn nun das Kunstmuseum heraus.

Angus hat in Santa Barbara Kunst studiert. Die Ausstellung zeigt auch abstrakte Arbeiten. Aber das war nicht, was ihn interessierte. „Dreiundzwanzig Jahre nach Stonewall“ - also den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei 1969 in folge einer Razzia in der Schwulenbar „Stonewall Inn“ in der New Yorker Christopher Street - „haben die Schwulen immer noch wenige aufrichtige Bilder von sich selbst“, meinte er kurz nach seiner Ankunft in New York. Diese Bilder wollte er malen. In seinem Werk geht es also um klassische Fragen der Repräsentation im doppelten Sinne von Vertretung und Darstellung: Die homosexuelle Perspektive war in der langen Geschichte der Kunst allenfalls andeutungsweise vertreten, etwa in David Hockneys Bilder, von nackten Männern im Schwimmbad oder unter der Dusche, auf die Angus wiederholt Bezug nimmt. Doch in Abertausenden von Aktbildern dominiert der heterosexuelle männliche Blick auf das weibliche Objekt der Begierde.

Tradition amerikanischer Realisten

Andererseits ging es Angus aber auch um die Art und Weise der Darstellung. Bilder von Schwulen gab es bereits, aber zu wenig „aufrichtige Bilder“. Solche Bilder konnte er, wie er selbst sagte, nur „vom Leben, nicht von anderer Kunst“ beziehen. Damit reiht er sich ein in die große Tradition amerikanischer Realisten von Edward Hopper bis zu den Fotorealisten. Auf Anregung seines Lehrers Gary Brown an der University of California Santa Barbara begann er 1979 ein gezeichnetes Tagebuch zu führen. In knapp drei Monaten entstanden rund 60 Blätter, von denen nun einige im Stuttgarter Kunstmuseum zu sehen sind. Sie zeigen nackte Männer am Strand, Männer, die sich küssen, oder ein Café mit dem großformatigen Bild von Oliver Hardy. In „David Saying Hello“ sind genau genommen zwei Davids zu sehen: David Hockney drückt David Bowie kräftig die Hand.

Angus‘ Realismus zeigt sich in sensiblen Porträts von Freunden und Bekannten, etwa des Theater-Autors Robert Patrick, der ihm bei seiner Ankunft in New York Aufträge für Bühnenbilder verschaffte. Er zeigt sich in explizit sexuellen Szenen, die allerdings weniger voyeuristisch als vielmehr gefühlvoll, ja auch humorvoll wiedergegeben sind: etwa wenn sich zwei junge Männer im Auto gegenseitig masturbieren, genau in der Mitte dazwischen der Schaltknüppel. Das Bild seiner Eltern in ihrem neuen Heim in Arkansas, angefertigt ein Jahr vor seinem Tod, zeigt dagegen in detaillierter Feinmalerei ein ausgesprochen bürgerliches Ambiente. Neben Bildern nackter Männer im Whirlpool oder unter der Dusche gibt es auch Stadt- und Landschaftsbilder von Kalifornien bis zum Central Park in New York. Gänzlich verzichtet Angus auch nicht auf den Bezug zu anderer Kunst, wenn er etwa „Adam and Eve“ in „Adam and Steve“ umwandelt oder Édouard Manets berühmtes „Frühstück im Grünen“ persifliert und aus den zwei angezogenen Männern mit der nackten Frau drei nackte Männer macht. Von einer Picasso-Ausstellung im Museum of Modern Art tief beeindruckt, stellte er Museumsbesucher und Kritiker, die mit spitzem Finger und Bleistift auf ein Gemälde zeigen, kubistisch zerstückelt in der Art von Picassos „Guernica“ dar.

Die Auseinandersetzung mit den Mitteln der Darstellung zeigt sich aber vor allem in ausgeklügelten Kompositionen und Farbkontrasten, die das anrüchige Treiben in schwulen Strip-Lokalen wie dem Gaiety Male Burlesque Theatre keineswegs glorifizieren, aber im wahrsten Sinne des Wortes in ein anderes Licht setzen. Immer wieder, wo ein Bild im Bild oder ein Spiegel zu sehen sind, wird die Art und Weise der Darstellung auch Thema: Im dunklen Saal des Strip-Lokals läuft taghell in der Pause ein Pornofilm auf der Leinwand. In einem „Self Portrait as Picasso“ zeigt der Künstler sich selbst im Spiegel auf dem Kaminsims, die Haare frisiert wie der spanisch-französische Großmeister, hinter sich ein Gemälde mit Figuren, die an Matisse erinnern, auf dem Sims ein unvollständiger Torso vom Belvedere, eine rote kykladische Figur und zwei altägyptische Reliefs.

Zu sehen sind auch zwei Filme über den homosexuellen Schriftsteller und Dandy Quentin Crisp, durch die der Stuttgarter Kunstsammler Andreas Pucher und der Galerist Thomas Fuchs auf Angus aufmerksam wurden. In der oberen Etage des Kunstmuseums schließlich sind vor dunkel-lila Wänden die Szenen des New Yorker schwulen Nachtlebens zu sehen, für die Angus vor allem bekannt ist. Man kann diese Bilder auf verschiedene Weise wahrnehmen: Für Homosexuelle bieten sie ein hohes Identifikationspotenzial, auch wenn sie nicht den athletischen männlichen Körper feiern, sondern zeigen, wie ältere Männer im Schatten, jeder für sich, sich an den jungen Körpern auf der Bühne erfreuen und anschließend ein privates Tête-à tête aushandeln. „Hot numbers“ leuchtet in gelber Schrift gestochen scharf zwischen drei solchen ungleichen Paaren hervor. Man kann Angus‘ Bilder auch als historische Dokumentation der New Yorker Schwulen-Szene der Achtzigerjahre betrachten, die mit der Aids-Krise und dem konservativen Bürgermeister Rudolph Giuliani untergegangen ist. Oder schlicht und einfach als Kunst. Dass sie diesem Anspruch standhalten, zeigt die Ausstellung im Kunstmuseum - sonst wären sie dort auch nicht zu sehen.

Die Ausstellung läuft bis 8. April 2018 und ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, freitags bis 21 Uhr geöffnet; der 160-seitige Katalog kostet im Museum 29 Euro.