Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey. Foto: HOLGER SCHNEIDER - HOLGER SCHNEIDER

Zwei sehr gegensätzliche Trauermusiken stellte die Bachakademie in ihrem ersten Saisonkonzert gegenüber: evangelisch bei Bach, katholisch bei Zelenka – eine in vielfacher Hinsicht aufschlussreiche Konfrontation.

StuttgartEs war ein eher einsamer Tod, als am 5. September 1727 in ihrem Refugium Schloss Pretzsch bei Wittenberg die Königin starb, die keine sein wollte. Derweil ihr Gatte, der in jeder Hinsicht potente August der Starke, seine Mätressen begattete. Er, der Kurfürst von Sachsen, war einst zum Katholizismus übergetreten, um in Personalunion als König von Polen herrschen zu können. Seine Gemahlin, die tief im Protestantismus verwurzelte Christiane Eberhardine, lehnte diesen Schritt und damit die polnische Königinnenwürde entschieden ab. Die konfessionelle vertiefte die sexuelle Entfremdung des getrennten Fürstenpaars. Die Resonanz im evangelischen Sachsen war eindeutig: Christiane Eberhardine wurde verehrt als Exempel der Glaubenstreue, ganz im Unterschied zum „abtrünnigen“ August.

Zum Tod der Fürstin hat Johann Sebastian Bach eine Trauerode komponiert. Als August der Starke fünfeinhalb Jahre später das Zeitliche segnete, schrieb Jan Dismas Zelenka ein Requiem. Eine kluge und äußerst aufschlussreiche Programmidee der Stuttgarter Bachakademie, die beiden Trauermusiken im ersten Saisonkonzert im Beethovensaal gegenüberzustellen: Da tut sich ein weites Panorama an konfessionellen, musikalisch-stilistischen und letztlich politisch-kulturellen Gegensätzen auf.

Totenglocken und stille Größe

Beide Vertonungen – einer freien Dichtung von Gottsched bei Bach, des liturgischen Texts bei Zelenka – stehen im Zeichen der öffentlichen Repräsentation. Aber bei Bach ist es die einer persönlichen, intimen, frühbürgerlichen Empfindungskultur; bei Zelenka jene des hierarchischen, auf den Tod des Königs und nicht des Menschen geeichten Ausdrucks – allerdings mit einigen denn doch individuellen Noten und einer jüngeren, galanteren Musiksprache. Solche Klänge im Gehörgang fällt einem die Entscheidung nicht leicht, ob man dereinst lieber evangelisch oder katholisch sterben möchte, auch wenn einem weder Bach noch Zelenka zum letzten Weg aufspielen.

Bachakademie-Chef Hans-Christoph Rademann hat mit seiner vokal-instrumentalen Gaechinger Cantorey jedenfalls beiden Werken die gebührende Originalklang-Intensität verliehen. In Bachs Ode (BWV 198) konzentriert sich Rademann exakt auf die gequälte Motorik als Ausdruck kollektiver Trauer, der die kompakten, aber elastisch gespannten Chorblöcke (Wort-)Laut geben. Gottscheds Dichtung wahrt die Etikette (auch „August klagt“ – in Wahrheit schwänzte er sogar die Beisetzung der Gattin), bietet zugleich aber Steilvorlagen für textgezeugte Klangrhetorik. Da lassen die Flöten die Totenglocken „beben“, ziehen die Gamben silbergraue Empathielinien, zupfen die Lauten jene stille Größe herbei, die zum Ruhm der verblichenen Fürstin, dem „Fürbild großer Frauen“, dann auch in einer hehren Fuge ihr Monument erhält. Es sind überwiegend intime Töne leiser Instrumente, mildes Holzbläserlicht, gedeckte farben, in die Bach sein Trauer-Opus taucht. All diese Feinheiten einer subtilen Expressivität leuchtete Rademann mit den vortrefflichen Musikern sorgsam und bewegend aus.

Registerwechsel dann in Zelenkas blechgestähltem D-Dur-Requiem: Mit Dämpfern zwar trumpfen Pauken und Trompeten gleichwohl zum funebralen Pomp auf, majestätisch geht’s in die Königsgruft. Zwei Hörner blasen der Jagdleidenschaft des toten Monarchen hinterher (und dass im Osanna samt Wiederholung jeweils derselbe Ton „verschossen“ wurde, ändert nichts an der Leistung des bravourösen Horn-Duos). Charakterisiert haben mag Zelenka den Herrscher auch mit jenem pastellfarben-galanten Ton, der sich in die „katholische“ Objektivität mischt: namentlich mit den schalmeienfeinen Klängen eines blockflötenkleinen Klarinettenvorgängers, eines Chalumeau (virtuos trotz manchen Intonationsgefährdung: Ernst Schlader). Zelenka lässt die Putten tanzen, dramatisiert das apokalyptische „Dies irae“ – und lotet doch in etlichen Chorsätzen tief hinein in den sakralen Ernst der Totenmesse.

Fulminantes Klang-Fresko

Fulminant inszenierte Rademann die musikalische Freskomalerei des grandiosen Werks ebenso wie die expressiven Schattierungen: rhythmisch pulsierend, farbecht, dynamisch im Elan und mit prächtig prägnantem Chorklang.

Nicht ganz auf dieser Höhe die Vokalsolisten: Catalina Bertucci fand nach etwas engstimmigem Beginn in lichte Sopranlinien hinein, auch der Kontratenor Benno Schachtner klang bei Bach noch etwas eckig und quietschig, bei Zelenka dann geschmeidiger und beinahe wie ein hoher Tenor. Der eigentliche Tenor, Benedikt Kristjánsson, schwang ebenmäßig schöne Tongirlanden, blieb aber teilnahmslos im Ausdruck. Mit sonorer Tiefe, aber nicht ohne Mulmen der Bass Nikolay Borchev.