Werner Meyer – mittlerweile mit altersmildem Vollbart. Foto: Ines Rudel - Ines Rudel

Der streitbare Gründungsdirektor der Kunsthalle Göppingen hat erreicht, was anfangs unmöglich schien: international begehrte Namen in die Stauferstadt zu locken. Jetzt geht Werner Meyer in den Ruhestand.

GöppingenEin Telefon, eine mechanische Schreibmaschine und ein Stapel leeres Papier – viel mehr an Ausstattung hatte Werner Meyer nicht, als er 1989 die Leitung der neu gegründeten Göppinger Kunsthalle übernahm. Doch ein unbeschriebenes Blatt sollte die ehemalige, zum Museum umgewidmete Berufsschule nicht mehr lange bleiben. Im Laufe der Zeit wuchsen Ausstellungsfläche, Mitarbeiterzahl und Renommee des Hauses beständig an, wobei Meyer überregional oft mehr Beachtung fand als in der Heimat.

Wenn er nun Ende April in den Ruhestand geht, verliert Baden-Württembergs Museumslandschaft eines ihrer markantesten Gesichter. Neuland betrat er zum Beispiel mit einem Überblick über die New Yorker Graffiti-Szene. „Ende der 80er“, sagt Meyer, „war das noch eine wirklich ungezähmte Sache. Ein paar der Künstler wurden in Amerika von der Polizei gesucht.“ Sprayer aus der Bronx in der Stauferstadt – gab das nicht Ärger? Gab es, aber Meyer sagt von sich selbst: „Ärger kann ich aushalten!“ Das glaubt man ihm aufs Wort. „Wenn Kunst nicht polarisiert“, sagt er, „ist sie langweilig.“

Der Lebenstraum, ein Kunsthallen-Neubau durch einen bekannten Architekten, blieb ihm zwar verwehrt, aber er konnte die Modernisierung der alten Kunsthalle durchboxen. Schaut man auf die Gesamtbilanz aus 30 Ausstellungsjahren, so hat der scheidende Hausherr erreicht, was in Göppingen nie möglich schien. Für fast eine halbe Million Mark ließ er die Künstlerin Rosalie einen begehbaren Zaubergarten in die Kunsthalle bauen. Und das Wiener Künstlerkollektiv Gelitin (früher Gelatin) sorgte mit einer verspiegelten Toilette für betretene Reaktionen bei einer Vernissage. Auch als die Stadtoberen Meyer drängten, doch bitteschön einmal etwas Gefälligeres zu bieten, wusste der Gegner des Blockbuster-Prinzips, wie er sich treu bleibt. Zwar holte er Kassenknüller wie Chagall und Picasso, beleuchtete aber deren anspruchsvollste Seite: ihre Beziehung zur Literatur. Auf die Diskussion, was in die Provinz gehört und was nicht, ließ sich der Beweger und Möglichmacher nie ein: „Zeitgenössische Kunst findet in Kleinstädten oft mehr Beachtung als in den mit Kultur überfrachteten Metropolen.“

Dass sich Arbeiten wie Ilya Kabakovs „Universalsystem zur Darstellung von allem“ oder die konzeptuellen Interventionen einer Karin Sander nicht von selbst erschließen, ist dem studierten Grund- und Hauptschullehrer bewusst. Schon früh hat er deshalb auf ein starkes pädagogisches Begleitprogramm gesetzt. Welch gute Schule die Kunsthalle aber auch für Kuratoren ist, belegt die Tatsache, dass mehrere Ex-Mitarbeiterinnen Meyers später selbst Chefposten bekommen haben: von Isabell Schenk-Weininger (Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen) über Silke Schuck (Stihl Galerie Waiblingen) bis zu Melanie Ardjah, die ihn in Göppingen beerbt.

Meyer beherrscht viele Tonlagen: Er kann scharf argumentieren, emotional begeistern und bei Bedarf auch lospoltern. Sein Erfolgsgeheimnis zu beschreiben, fällt dem sonst Wortgewandten schwer. Ein Laissez-faire-Kurator, der einfach nur einen Raum zur Verfügung stelle, sei er nicht gewesen. Dabei war er manchmal risikofreudiger als die Künstler selbst, etwa als er Jaume Plensa nicht mit dessen gefeierten Metallskulpturen, sondern mit unspektakuläreren Objekten aus Kunstharz präsentierte.

Begehrte Namen wie Kabakov, Plensa oder den Lichtkünstler James Turrell hat Meyer auch deshalb für Göppingen gewinnen können, weil er demonstriert hat, wie ernst er es meint mit der Kunst. Zwölf-Stunden-Tage waren für ihn normal. Um sein Budget zu schonen, erledigte er den Transport von Kunstwerken persönlich mit einem Mietlaster. Anpacken wird der kuratorische Tausendsassa demnächst erneut, allerdings daheim. Meyer zieht weg, in den Nordschwarzwald.

Die Abschiedsschau „Die Sammlung“ zeigt Werke aus den Beständen, die prägend für das Haus waren wie Günther Uecker, Marie-Jo Lafontaine oder Karin Sander. Die Schau ist bis 2. Juni dienstags bis freitags von 13 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 19 Uhr geöffnet.