Foto: Lichtgut-Oliver Willikonsky - Lichtgut-Oliver Willikonsky

Mit alten Hits und neuen Songs begeistert die Soulstimme der 90er-Jahre im Stuttgarter Theaterhaus.

StuttgartLisa Stansfield ist mittlerweile auch schon 52 Jahre jung. Trotzdem geht sie mit der Zeit um, als hätte sie alle Zeit der Welt. Neun Jahre zogen ins Land, bis die britische Soul-Königin 2014 Stuttgart mal wieder ihre Aufwartung machte. Seit dem Auftritt in der Liederhalle sind, fast auf den Tag genau, weitere vier Jahre verstrichen, bis sie zur nächsten Audienz lud, diesmal ins ausverkaufte Theaterhaus auf dem Pragsattel.

Die Zeit ist auch an Stansfield nicht spurlos vorbeigegangen. Etwas älter im Gesicht ist die Arbeiterklasse-Britin geworden und noch einen Tick knabenhaft schmaler. Die Hagerkeit kaschiert die in Rochdale, Lancashire geborene Künstlerin ganz gut mit einer weiten weißen Hose, schwarzem Top und schwarzem Jacket. Sorgen um ihre Gesundheit muss man sich allerdings trotzdem keine machen, ihre schier unerschöpfliche Agilität auf der Bühne ist formidabel. Ihre facettenreiche Stimme klingt dagegen so zeitlos wie vor vier Jahren. So rauchig-heiser einerseits, so samtig soulig, fast jazzig andererseits. Mal pendelt das Manchester-Girl, das mittlerweile in Dublin lebt, zwischen Coolness und Sehnsucht, mal dosiert sie ihr Organ perfekt zwischen feinfühlig-warmen Emotionen und triumphierend-kraftvoller Kratzbürstigkeit. Stansfield, mal leise, mal laut, lebt den Soul mit jedem Ton und führt ihn in eine zukunftsträchtige Gegenwart. Sie ist im Soul zuhause und gibt dem Soul ein Zuhause.

Bestuhlung ist ein Hindernis

Live ist die Engländerin nach wie vor ein Ereignis, ein konzertantes Geschenk. Kaum betritt sie die aufgeräumte Bühne, hält es einige Fans schon nicht mehr im Gestühl. Fortan ist die Bestuhlung eher Hindernis denn Ruhekissen, denn ein ums andere Mal reißt die Frau, deren Musik auch als „Northern Soul“ bezeichnet wird, das Publikum von den Sitzen. Noch etwas verhalten startet sie mit dem clubtauglichen „Everything“, einem funky groovenden Disco-Track. Die hauchzarte Ballade „Deeper“, ein eleganter Soulsong im Philadelphia-Stil der Siebzigerjahre, schiebt sie hinterher.

„Deeper“ ist das Titelstück ihres gleichnamigen, achten Studioalbums, das ihr Ehemann Ian Devaney produzierte. Es ist ein betörendes Werk geworden und zu Recht bereichern gleich acht Songs daraus das spannungsgeladene Programm. Die Mischung aus retrohaftem Philly-Soul, Club-Musik und berührenden, sehr persönlichen Balladen klingt stellenweise sogar besser, frischer als älteres Material. Der rhythmische Titel „Never Ever“ mit seinen feinen Mojo-Anleihen beispielsweise geht wunderbar ins Ohr. Solchen satten Groovenummern mitsamt Percussions-Einlage stehen Songs wie der watteweiche Breitwand-Funk „Butterflies“ oder die seidige Easy Listening-Pianoballade „Hole in my Heart“ gegenüber. Pop, Jazz, Dance, Motown und Northern Soul verschmelzen zu einer Melange aus Tempo, Rhythmus und Dynamik und gipfeln in den besten neuen Songs des Abends: „Billionaire“, ein poppig-hymnischer Soul-Song, der eine ganze Seifenoper verpackt und der Gute-Laune-Tanzsong „Hercules“, der gar John Carpenters legendäres Keyboard-Thema aus dem Film „Assault – Anschlag bei Nacht“ zitiert. Stansfield marschiert dazu wie ein Wachsoldat auf und ab. Die Stimmung ist nicht nur in diesem Moment wie elektrisiert.

Natürlich spielt Lisa Stansfield auch ältere Sachen, die sie dramaturgisch geschickt und teils mit fließenden Übergängen in Szene setzt. Gleich an Nummer drei gelingt ihr routiniert charmant und perlend die Beschwörung der Magie des Barry White-Klassikers „Never, never gonna give you up“ mit den sich im Verlauf steigernden Beats. Kurz darauf feuert die BRIT-Awards-Preisträgerin ihre Klassiker „The Real Thing“ (1997) und „Change“ aus dem Album „Real Love“ (1991) ab. Immer dabei: ein bisschen Glitter, ein bisschen Drama und ganz viel Emotion. Was Simply Red-Feuerkopf Mick Hucknall bei den europäischen Männern, ist Lisa Stansfield bei den Frauen: die Fahnenträgerin des „white Soul“, hofiert im Theaterhaus von einer neunköpfigen Band, die genauso gut knackig funky spielt wie leichthändig soulig. Die stärksten Momente haben die fantastische Backgroundsängerin, Bläser und Musiker, wenn sie im hervorragend abgemischten Sound das Gaspedal durchtreten dürfen.

Strophen werden mitgesungen

Im Mittelteil hängt das Konzert bei zwei älteren Nummern kurz etwas durch, aber spätestens mit dem lasziv-schwülen „Real Love“ und „People hold on“ zieht Stansfield, die fast gänzlich auf Zwischenmoderationen verzichtet, das Publikum wieder in ihren Bann. Beim für ihre Verhältnisse fast schon zurückhaltend intonierten „All around the World“ schließlich werden ganze Strophenparts lauthals mitgesungen. Die unzerstörbare, groovige Soul-Perle aus dem Jahr 1989, da war Lisa gerade mal 23, machte sie auf einen Schlag berühmt. Erneut fragt man sich, warum diese Frau noch nie einen James-Bond-Song gesungen hat. Die Entdeckungsreise endet, wie das neue Album, mit einer superben Version von „Ghetto Heaven“, im Original von den New Yorker Soul-Ikonen The Family Stand.

Nach zwei Zugaben – der aufregenden Nummer „Live together“ und dem Discoklassiker „Young hearts run free“ – kehrt Lisa Stansfield in die Dunkelheit zurück. Aber nur scheinbar. Mit „Deeper“ und der dazugehörigen Tour steht sie wieder mitten im Rampenlicht. Vier weitere Jahre wollen wir aber nicht mehr warten bis zum nächsten Kommen. Einziger Wermutstropfen eines exquisiten Konzerts: 95 Minuten Spielzeit sind ein wenig lau. Lisa Stansfields Umgang mit der Zeit ist auch hier: ausbaufähig.