Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Eine „Egmontage“ nennt Ralf Rennicke, Konzertdramaturg des Staatsorchesters, die Kombination von Ludwig van Beethovens 1809 komponierter Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“ mit Liedern Gustav Mahlers und einer Komposition Wolfgang Rihms, die auch noch mit Zwischentexten des palästinensischen Dichters Mahmud Darwisch verbunden werden. Die Aufführung dieser musikalisch-literarischen Collage durch Sylvain Cambreling und das Staatsorchester zum Saisonabschluss in der Liederhalle war interessant konzipiert, hatte jedoch ihren Schwachpunkt durch den akustisch nicht immer verständlichen Wolfgang Michalek als Sprecher. In den Unisono-Akkord des Orchesters zu Beginn der „Egmont“-Ouvertüre hinein gibt Michalek das utopische Stichwort „Hoffnung“. Es prägt das Werk des Palästinensers Darwisch, der 1948 nach der Staatsgründung Israels in den Libanon floh, einige Jahre später in sein zerstörtes Heimatdorf in Galiläa zurückkehrte, als Journalist in Haifa mehrfach inhaftiert wurde und als Schriftsteller 1988 Mitverfasser der palästinensischen Unabhängigkeitserklärung war.

Helligkeit und Düsternis

Dem Freiheitspathos Beethovens und der expressiven Kriegsdramatik der Mahler-Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ stellt Michalek die nüchterne, desillusionierte Stimme des Zeitzeugen unserer Gegenwart gegenüber. Nach der Euphorie der „Egmont“-Ouvertüre charakterisieren die Lieder Clärchens den privaten Widerstreit der Gefühle, enthusiastisch in „Die Trommel gerühret“, reflektiert in „Freudvoll und leidvoll“: Sopranistin Josefin Feiler singt sie mit Begeisterung, Gustav Mahlers Ballade „Der Tambourg’sell“ danach taucht das Trommel-Motiv in vom Bariton Shigeo Ishino nachdrücklich akzentuierte Düsternis. Die Vorstellung von Exekution in Gefangenschaft ist so furchtbar evoziert wie im Soldatenlied „Revelge“. Cambrelings musikalische Collage kommt zu ihrem Höhepunkt, wenn die vierte „Egmont“-Zwischenaktsmusik mit einer Dissonanz einsetzt, Mahmud Darwisch über dem Beethoven’schen Larghetto zu Wort kommt und Ishino als Der Gefangene mit Feiler als Das Mädchen Geist und Gefühl im von von Arnim und Brentano verfassten Volksliedtext sich gegenseitig bestärken: „Die Gedanken sind frei, / Wer kann sie erraten . . .“

Eindrucksvoll auch Wolfgang Rihms 1999 entstandenes Orchesterstück „Ernster Gesang“ mit dem Bariton-Epilog auf zwei kurze Texte Georg Büchners: ein requiemartiges Klangpanorama mit Spuren von Brahms und Mahler, das sich nur kurzzeitig aufhellt, bevor noch einmal die Stimme des Dichters die Flamme der Utopie beschwört: „Denk an den Andern / Und vergiss nicht das Futter der Tauben / Denke an dich und sage / Wäre ich doch eine Kerze im Dunkeln“.

Das Konzert des Staatsorchesters wird heute um 19.30 Uhr im Beethovensaal der Liederhalle wiederholt.