Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Zum Abschluss seiner ersten Konzertsaison konnte das neue SWR-Symphonieorchester einige Stuttgarter Kulturprominenz als Zuhörer begrüßen, und der lang anhaltende Beifall des Publikums am Ende von Mahlers „Auferstehung“-Sinfonie im ausverkauften Beethovensaal galt wohl nicht allein der Aufführung, sondern einer insgesamt erfreulichen ersten Spielzeit. Christoph Eschenbach leitete nach der ersten und fünften nun mit Riesenaufgebot die Zweite: Wie ein Feldherr befehligte er die Hundertschaften seiner musikalischen Heerscharen, doch im Vergleich zu seiner spannenden Interpretation der D-Dur-Sinfonie im November hinterließ die Wiedergabe von Mahlers c-Moll-Sinfonie nicht ganz diesen überwältigenden Eindruck.

Mit der „wild herausfahrenden“ Agonie-Figur der Celli und Kontrabässe ist der Beginn der Ecksätze verkoppelt: Der Anfang klingt stumpf, die Violinen intonieren scharf, doch die Dringlichkeit der Entwicklung ist erst mit dem vollen Einsatz der Bläser erreicht. Eschenbach hat das Orchester straff im Griff, die klangliche Balance der einzelnen Orchestergruppen wird durch extreme dynamische Kontraste erweitert, das idyllische Naturthema im Gegensatz zum marschartigen Hauptthema ist gläsern, fragil. Die dramatischen Steigerungen dieses Satzes bis zum völligen Zusammenbruch werden vom Orchester in aller Schärfe artikuliert. Auch das Andante zelebriert Eschenbach mit vielen pointierten Details, doch vielleicht fehlt hier ein wenig das entspannt Melodiöse, im Gegensatz zu dem doppelbödigen Scherzo, in dem Mahler sein Wunderhorn-Lied „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ zitiert. Hier gelingt dem Dirigenten die dramatische Zuspitzung überzeugend, und Gerhild Rombergers unmittelbar folgendes Altsolo öffnet im Gegensatz dazu den Blick auf eine andere, spirituelle Existenz. Auch dieses „Urlicht“ gehört zu den Liedern aus „Des Knaben Wunderhorn“, doch die Spannweite zwischen naiver Volkspoesie und musikalischem Ausdruck ist hier von ungeheurer Wirkung, die von der Altistin mit leuchtend aufblühender Intensität erfüllt wird. Weniger eindrucksvoll ist dann der Einsatz der beiden Sängerinnen im monumentalen Schlusssatz der Sinfonie.

Christiane Kargs Sopransolo von der Chortribüne mitten in der Hundertschaft von SWR-Vokalensemble und Chor des Bayerischen Rundfunks fehlte es an Strahlkraft - ganz im Gegensatz zu den phänomenalen dynamischen Kontrasten des Chors zwischen fast unhörbarem Pianissimo („Hör auf zu beben!“) und brachialem Fortissimo („Bereite dich zu leben!“). Das apokalyptische Theater, welches Mahler in diesem Schlusssatz samt Fernorchester und Posaunen des Jüngsten Gerichts entfesselt, ist von geradezu plakativer Anschaulichkeit. Wie - nach dem kurz aufflammenden Dies-irae-Motiv - Eschenbach die fünf Schlagwerker und den Pauker hier mit Maschinendonner auf die Zuhörer niederknüppeln lässt, ist von schauerlich erhabener Emphase. Mit dem großartigen Chor, einem hörbar zusammenwachsenden SWR-Symphonieorchester und einem Dirigenten, der sich auch Zeit ließ für die hymnischen Apotheosen dieses mehr als halbstündigen Finales war dies ein überzeugender Saisonabschluss.