Eine Stimme, die nach Rum, Kokos und Mango zu schmecken scheint: Gentle­man vermittelt beim Konzert unbändige Spielfreude. Foto: Torsten Rothe Quelle: Unbekannt

Von Thomas Staiber

Stuttgart - Tilman Otto - in Deutschland bekannter unter dem Namen Gentleman - ist wie viele Reggae-Musiker ein Fußballverrückter. Wenige Stunden vor seinem Auftritt hatte sein Verein, das Tabellenschlusslicht 1. FC Köln, auf dramatische Weise verloren. So etwas kann aufs Gemüt schlagen. Wie soll man da gut gelaunt Tanzmusik machen und eine mitreißende Ü-25-Party veranstalten für 6000 Besucher aus nah und fern?

Für einen Rasta-Freund wie Gentleman, einen, der die Sanftheit im Namen trägt, der auf Spiritualität statt auf Gewalt setzt und der sich ungern frustrieren lässt, kein Problem. Gerade in Stuttgart, wo ihn vor knapp 20 Jahren Max Herre auf die Bühne geholt und in seinen Freundeskreis aufgenommen hatte, herrscht bei diesem Unplugged-Konzert zweieinviertel Stunden lang ungehemmte Lebenslust, unbändige Spielfreude sowie ein leidenschaftliches Miteinander. Frei nach Friedrich Schiller: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielen darf.“

13 Musiker machen Hochdruck

Die Porsche Arena wird dabei nicht bloß von kraftvoll hereinrollenden Schallwellen geflutet, auch der eine oder andere Rauchschwaden wallt durch das Riesenoval. Der ausgelassenen Stimmung auf der Bühne und im Saal scheint das indes keinen Abbruch zu tun. Im Gegenteil. „Schtuttgaaart!“ Gefühlte zweihundert Mal schallt Gentlemans Ruf wie Donnerhall durch das riesige Oval, in dem Tausende von Armen nach oben gereckt werden und - von Scheinwerfern hübsch bestrahlt - sich im Reggae-Rhythmus nach vorn bewegen. Von oben erinnert das ein wenig an eine Wiese, durch die der Wind streicht und das Gras bewegt. Auf der im Stil der 1950er-Jahre eingerichteten Bühne agieren 13 Musiker - darunter zwei Schlagzeuger, zwei Keyboards, zwei Gitarren, Streicher, ein blitzender Bläsersatz, ein weiblicher Hintergrundchor mit sexy Stimmen und ein gemütlich brummender Kontrabass - und sorgen für Hochdruck.

Am schönsten geraten Reggae-Songs wie Bob Marleys „Is This Love“ und Gentleman-Hits wie „Changes“, „To The Top“ oder „Superior“, wenn sie fließen und die Menschen sich dazu in den Hüften wiegen. Es sind aber auch ein paar harte Nummern mit hämmerndem Rhythmus darunter. „Volle Dröhnung!“, bemerkt ein Fan aus Karlsruhe und führt den Bierbecher zum Mund. Gentleman, der wie ein Flummi über die Bühne springt und gerne Kontakt mit Fans in der ersten Reihe aufnimmt, begeistert mit einer kraftvollen rauen Stimme, die nach Rum, Kokos und Mango zu schmecken scheint.

Singen, hüpfen, lachen, umarmen

Das kreolische Patois der Jamaikaner beherrscht der Gentleman aus der Kölner Südstadt wie eine zweite Muttersprache. Bei seiner Unplugged-Show, für die er 2014 als weltweit erster Reggae-Musiker von MTV eingeladen wurde, treten nun auch in der Porsche Arena singende Gäste auf: Claye mit strahlend heller Stimme, der Deutschkoreaner Jondo, ein kleiner Wonneproppen, ein gewisser Daddy Rings aus Jamaika ein wenig schwankend und der sizilianische Herbalist Alborosie, der seit über zehn Jahren auf der Karibikinsel lebt und dessen Filzlocken inzwischen fast den Boden berühren. Man singt zusammen, hüpft gemeinsam im Takt, lacht und umarmt sich ein ums andere Mal. Die Jamaika-Koalition mit Gentleman und seinen Reggae-Freunden geht unter dem Jubel des Publikums reibungslos und störungsfrei über die Bühne. An die Verwerfungen der Realpolitik mag man in solchen Momenten gar nicht denken.