Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Über 50 Mal hat er den Zyklus aller 32 Beethoven-Sonaten über Jahrzehnte hinweg in aller Welt aufgeführt, auch in der Stuttgarter Liederhalle war er in den vergangenen Jahren mehrfach mit wechselnden Programmen daraus vertreten. Mit Fug und Recht kann man den im nordböhmischen Leitmeritz geborenen Pianisten als Experten in Sachen Beethoven bezeichnen, zumal sich seine Interpretationen auf akribische Quellenforschung stützen. 39 komplette Ausgaben der Klaviersonaten hat Rudolf Buchbinder in seiner Sammlung, und bei der Zusammenstellung seiner Programme waltet durchaus eine überlegte Dramaturgie. So führte sein diesjähriger Klavierabend auf zwei Gipfelwerke von Beethovens Sonaten-Oeuvre: die c-Moll-Sonate „Pathétique“ vor der Pause, die C-Dur-„Waldstein“-Sonate zum Schluss. Als eine Art Rückschau auf Beethovens erste Schaffensperiode spielte Buchbinder zu Beginn die B-Dur-Sonate op.22.

Was an Buchbinders Auftreten sympathisch berührt, ist sein uneitler, ganz dem Werk gewidmeter Vortrag. Es gibt keine zur sakralen Aura herabgedimmte Beleuchtung, ein kurzer Moment der Konzentration am Flügel genügt, um pianistisch in Aktion zu treten. Dem geschwinden Crescendo-Aufstieg des Allegro folgt ein weit ausschwingendes Thema, Dreiklänge und Sechzehntelfiguren sind das kompositorische Material, aus dem der Kopfsatz sich entwickelt und das der Pianist werkgetreu abbildet.

Die Naturpoesie des Adagio „con molt‘ espressione“, die für manche Interpreten auf die Szene am Bach aus Beethovens „Pastorale“ vorausweist, bleibt klanglich zurückhaltend, das Rondo-Finale ist pianistisch effektvoll ausgeführt. Zwischen die selbstbewusste Formkunst der B-Dur-Sonate und die leidenschaftlich subjektive „Pathétique“ stellt Buchbinder die G-Dur-Sonate op.49/2. Schon fünf Jahre vorher als zweite der „Deux Sonates faciles“ entstanden, aber erst 1805 im Druck erschienen, ist das zweisätzige Stück von anmutiger Simplizität. Unter Buchbinders Händen klingt es federnd, entspannt, doch keineswegs lieblos.

Am stärksten beeindruckt an diesem Abend im Beethovensaal die Wiedergabe der c-Moll-Sonate op.13. Formvollendet und spannungsreich ist das Anfangspathos des „Grave“ gestaltet, der Gefühlssturm des folgenden Allegro-Kopfsatzes ist mit drängender Motorik und markanten Zäsuren pianistisch brillant ausgeführt. Die verminderten Septimakkorde lässt Buchbinder mit aller Wucht niederfahren und aushalten. Umso stärker dann der Kontrast des klanglich schön ausbalancierten Adagio cantabile, und sehr beweglich mit wechselnden Akzenten und dynamischen Gegensätzen das Rondo-Finale.

Die G-Dur-Sonate op.79 als Vorspann zur „Waldstein“-Sonate ist wiederum ein spielerisches Leichtgewicht, dessen ironische Pointen wie penetrante Kuckucksterzen, mutwillige Tonartenwechsel und überraschende Arpeggien und Sequenzierungen der Pianist mit leichter Hand demonstriert. In den Tanzwirbeln des „Presto alla tedesca“ oder den nachhinkenden Oktaven des Vivace spürt man, wie genau Buchbinder das Stück analysiert hat. Bei seiner abschließenden Wiedergabe der „Waldstein“-Sonate dagegen überwog die Routine. Statt vollendeter Klassizität und jubelnder Ekstase dominierte kühle Virtuosität.