Damals, Anfang der 80er in der Provinz-WG auf der Alb: Oliver Moumouris blickt als heutiger Erzähler Höppner (vorne) auf ein wildes Jahr zurück. Foto: Patrick Pfeiffer - Patrick Pfeiffer

Vor der Premiere: Christof Küster inszeniert „Auerhaus“ nach Bov Bjergs Roman an der Esslinger Landesbühne.

EsslingenSmartphone, Tablet, Internet waren noch weit weg in jener grauen Vorzeit, die gerade mal rund 35 Jahre her ist. Dafür steht die Tür immer offen im Auerhaus. Besucher hinterlassen Notizzettel, die Höppner sorgfältig abheftet – als „Gedächtnis der Menschheit“. Christof Küster macht einen Regieansatz daraus in seiner Dramatisierung von Bov Bjergs Roman, die am heutigen Freitag an der Esslinger Landesbühne Premiere hat. Es geht um die Erinnerung an eine ferne Nahvergangenheit, als die letzten RAF-Plakate verblichen, als die Schule langweilig wie immer und die Zeit nach dem Abi verheißungsvoll wie noch heute war, als im Radio der Madness-Hit „Our House“ rauf und runter lief und einer WG in tiefer Provinz auf hoher Schwäbischer Alb den Namen gab. Das Auerhaus in Bjergs gleichnamigem Roman ist Fiktion, aber getränkt mit autobiographischer Realität, stammt der sich hinter dem Pseudonym bergende Autor doch aus der Göppinger Gegend, der er 1984 gen Berlin entfleuchte.

Geschildert wird das Geschehen um die Abiturienten-WG auf der Alb aus der Nahperspektive Höppners, dessen Vorname nie genannt wird. Unmittelbar danach lässt er Revue passieren, was zwischen einem Suizidversuch und einem Suizid geschah. Klingt nach schwerer Provinzjugendtragödie, wird aber im Roman „mit aller Leichtigkeit und lakonischem Witz verhandelt“, sagt Regisseur Küster. In seiner Bühnenfassung hat er die Erzählerfigur verdoppelt: Um Nähe und Distanz zum Zeitbild aus den frühen 80er-Jahren auszuloten, tritt dem jungen der heutige Höppner zur Seite, der sich 2018 an das wilde Jahr im Auerhaus erinnert.

Alles beginnt (und endet) mit Frieder, Höppners bestem Freund. Nach einer Überdosis Schlaftabletten landet er in der Psychiatrie, nach der Entlassung befolgt er den Rat der Ärzte: bei seinen Eltern ausziehen, ein selbstständiges Leben führen. Im leeren Haus seines verstorbenen Großvaters gründet er die Auerhaus-WG – und die hat es in sich. Was Küster als „interessantes Tableau unterschiedlicher Figuren“ beschreibt, ist eine menschliche Sprengstoff-Mischung, zusammengehalten nur durch die flüchtige Magie jener Lebensphase zwischen Ödnis und Euphorie kurz vor Ende der Schulzeit. Aus der Psychiatrie hat Frieder die Pyromanin Pauline mitgebracht, Höppner zieht zusammen mit seiner Freundin Vera ein, die ein bisschen sexuelle Freiheit ausprobiert. Die strebsame Cäcilia stößt dazu, man klaut sich durchs Leben, Musik bestimmt das Lebensgefühl – und nebenbei bereitet man sich aufs Abi vor. Abgesehen natürlich vom Elektrikerlehrling Harry, der gelegentlich auf dem Stuttgarter Schwulenstrich seine rege Kifferaktivität finanziert – und damit sich und seinen Wohngenossen einen Großeinsatz der Drogenfahndung beschert. Was Cäcilia um ihr polizeiliches Führungszeugnis und ihren Studienplatz in den USA bangen lässt. Risse durchfurchen alsbald das gemeinsam starke Hier-und-Jetzt-Gefühl.

Für Küster könnte die Geschichte „überall in der Provinz“ spielen. Deshalb verzichtet er auf Dialekt, deshalb schuf Marion Eisele ein abstrahierendes Bühnenbild mit Projektionsfolien für Videoeinblendungen und mit symbolträchtigem Schnee als dominierendem Element – nicht nur wegen der Winterszenen. Als Koproduktion mit der Jungen WLB richtet sich das Erinnerungsspiel ebenso an die kritische Nostalgie bürgerlich gereifter Alt-80er wie an heutige junge Zuschauer ab 14 Jahren, sagt Dramaturgin Stephanie Serles: „Die Faszination durch die Aufbruchstimmung im letzten Schuljahr ist gleich geblieben.“ Nur dass man sich damals noch Zettel statt Whatsapps schrieb.

Die Premiere beginnt am heutigen Freitag um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen folgen am 16. Juni und am 21. Juli.