Um Konventionen im Konzertsaal hat er sich noch nie groß geschert: Dirigent Roger Norrington. Foto: Manfred Esser/DSO - Manfred Esser/DSO

Hier geht es um musikalische Kommunikation: Bei Norrington klingt Beethoven wie neu gehört.

StuttgartManchmal sind es einfache Maßnahmen, die große Veränderungen bewirken. Dass Sir Roger Norrington beim Konzert des SWR-Symphonieorchesters in der Liederhalle bei Beethovens drittem Klavierkonzert die Bläser nicht wie gewohnt hinter, sondern neben den Streichern platziert hat, führte zunächst einmal klanglich zu interessanten Stereoeffekten. Von rechts tönten Fagotte und Klarinetten, von links Oboe, Flöte und Hörner, und so wurden plötzlich Stimmverläufe plastisch, die sonst im Gesamtklang unterzugehen drohen.

Doch Sir Roger hatte den Bläsern auch noch die Stühle weggenommen, so dass sie wie bei einem Alte-Musik-Ensemble quasi solistisch im Stehen musizierten. Der – deckellose – Flügel wurde für den Pianisten Francesco Piemontesi ins Zentrum gestellt, darum herum waren die Streicher gruppiert, die teilweise mit dem Rücken zum Publikum saßen, während Maestro Norrington hinter dem Flügel stand und außer den Kontrabässen alles im Blick hatte.

Intensives Geben und Nehmen

Eine konzentrierte Aufstellung, die signalisierte, dass es hier um Kommunikation gehen sollte: Musizieren als Ensemble. Und so war es. An eine belebtere, farbigere, Herz und Hirn stärker in Hochstimmung versetzende Aufführung dieses Stücks kann man sich nicht erinnern. Der Satz „Man hörte es wie zum ersten Mal“ mag abgegriffen klingen. Aber hier traf er zu, und das lag nicht zuletzt an dem jungen Schweizer Pianisten Piemontesi, der sich nicht mit einer technisch und stilistisch akkuraten Ausführung begnügte, sondern sich mit Verve und Leidenschaft in die Musik stürzte. Gelegentlich forsch in der Tempowahl, aber nie überhetzt, spielte er auch klanglich sehr fokussiert, vor allem aber immer im Dialog mit dem Orchester, das die Impulse des Solisten aufnahm und spiegelte – ein Geben und Nehmen von einer Intensität, wie man sie bei Abonnementkonzerten ansonsten leider nur äußerst selten erlebt.

Dieser Roger Norrington, der am 16. März 84 Jahre alt wird und an diesem Tag mit dem SWR-Orchester in London in der Cadogan Hall auftreten wird, schert sich nicht mehr um Konventionen. Er macht, was er für richtig hält, und dazu gehört auch, dass er dem Solisten schon nach dem ersten Satz dezent Beifall spendete, was von einem Teil des Publikums dankbar aufgenommen wurde. Und er hat ja recht! Warum darf man denn nicht mal zwischen den Sätzen applaudieren, wenn man es für angebracht hält?

Roger Norringtons Charisma lebt auch von der Freude darüber, Musik machen zu können. Und das Orchester war gewillt, diese Freude mit ihm zu teilen. Homogener, mehr aus einem Guss hat man das fusionierte Ensemble noch nicht gehört, wobei auch die Kollegen aus Baden-Baden und Freiburg Norringtons Non-Vibrato-Doktrin offenbar problemlos folgen konnten.

Begonnen hatte das Konzert mit einer anfangs unterhaltsamen, aber rasch eintönig wirkenden Dekonstruktion der Gattung „Festliche Ouvertüre“ aus der Feder Jörg Widmanns, und es endete mit einer gloriosen Beethoven’schen „Eroica“. Das Engagement und die technische Brillanz des SWR-Orchesters bildeten auch hier die Basis der Interpretation, doch vor allem war es Norringtons Kenntnis des Werks, seine Sicherheit in der Tempogestaltung, in der Ausformulierung der Charaktere. Jeder Ton war da mit Ausdruck aufgeladen, getragen von einem durchgängigen organischen Puls, der erst mit dem Schlussakkord endete. Formidabel. Thank you, Sir Roger!