Bariton Thomas Hampson Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart -Er braucht keinen Umblätterer, er hat die Musik verinnerlicht. Er formt die Texte der Lieder mit den Lippen, während er den Flügel spielt. Angespannt ist seine Körperhaltung, vollkommen konzentriert auf die Atmosphäre, die es gilt aufzubauen. Blitzschnell ändert er Farben, Stimmungen, Stärkegrade. Wenn wie in Hugo Wolfs „Er ist’s“ vom Frühling die Rede ist, baut sich in Sekunden eine ungeheure Energie auf, und in Schuberts „Forelle“ scheint vor dem inneren Auge sofort das „helle Bächlein“ auf, so sprudelig und fröhlich gelingen Wolfram Rieger die wellenförmig auf und ab hüpfenden Tonschleifchen. In Schuberts „An die Laute“ tönen aus dem Riesenflügel leiseste, zarte Zupfer, und wenn Rieger den letzten Ton angeschlagen hat, ist das Stück noch lange nicht zu ende. Es tönt nach.

Rieger ist ein ganz Großer. Ein großer Liedgestalter, wie man heute Pianisten nennt, die in Liederrecitals die Singenden am Klavier begleiten. Und dafür wurde Rieger gestern im ausverkauften Opernhaus Stuttgart zusammen mit dem großen Bariton Thomas Hampson mit der Hugo-Wolf-Medaille ausgezeichnet. Die beiden arbeiten seit 25 Jahren als Liedduo zusammen, haben mit ihren Interpretationen der Lieder Schumanns, Mahlers oder Mendelssohns Geschichte geschrieben. Der charmante Sänger trat in dieser Preisverleihungsmatinee mit Liedern von Schubert, Schumann, Wolf und Strauss nicht selbst auf. Er saß in der erste Reihe, schüttelte Hände, küsste Wangen und erfreute sich sichtbar nicht nur am Klavierspiel Riegers, sondern vor allem auch am Gesang seiner Kollegin, der großartigen Anja Harteros, die mit ihrer nuancierten Gestaltung und extrem wandlungsfähigen Sopranstimme das Haus zu euphorischen Jubel brachte. Wunderbar, wie sie in Schuberts „Im Haine“ die besungene Sonne mit langem Atem und weiten Phrasen stimmlich zum Strahlen brachte, wie fein nuanciert sie in Hugo Wolfs „Mein Liebster singt am Haus“ aus emotionalen Farben Trauer, Wut und Ironie formte und wie sie immer wieder aus Liedern kleine dramatische Szenen machte - mit fein eingesetzter Gestik und Mimik. Anja Harteros und Wolfram Rieger - auch so ein Dreamteam.

Mit ihrer Medaille ehrte die Hugo-Wolf-Akademie jetzt zum siebten Mal Künstler für ihre Verdienste in der Liedkunst. „Aber es ist das erste Mal in der Geschichte der Liedinterpretation“, betont die Laudatorin des Abends, die Musikpublizistin Eleonore Büning, „dass die Akademie ein Liedduo auszeichnet - als eine für das German Lied essenzielle und untrennbare Interpretationsgemeinschaft. Das ist ein Signal, das ist ein Zeichen, und das ist ein Fest“.

Denn es sei immer noch so, dass auf den Plattencovern oft nur die Sänger abgebildet seien. Die Pianisten erschienen nur mit Namen - kleiner gedruckt oft oder gar nur auf der Rückseite der CDs, als gebe eine Hierarchie zwischen Wort und Ton, als sei der Sänger der Boss und der Begleiter der Diener, der nicht zu laut werden dürfe.

Sie lobte Wolfram Riegers „fließend atmende Leichtigkeit, mit der er die Nuancen des Phrasenverlaufs abwägt, musikalische Gedanken formuliert, die jeder verstehen kann“, die „transparente und farbige Sprachfähigkeit seiner zehn Finger“ sowie „die intellektuell fundierte Ausdruckskraft, die hinter diesem speziellen zarten Rieger-Tonfall steht“.

„Nobles Timbre“

Und Thomas Hampson? Büning schwärmte über sein „nobles Timbre, das prächtige Volumen, die balsamische Mittellage, die helle lupenreine Höhe, das sichere Fundament, seine unfassbar schönen Registerwechsel“, freute sich über „seinen Sinn für Dramatik und Situationskomik, seinen Perfektionismus und seine zauberhafte Neugierde“, die sein Repertoire riesig mache. Es gebe fast nichts, was er nicht singen könne. Und zitierte einen Kollegen: „Hampson ist eine Allzweckwaffe, man kann ihn sicherlich auch anrufen und bitten einzuspringen, wenn die Netrebko abgesagt hat“.