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Er ist erst 25, war Assistent von Daniel Barenboim, Christoph von Dohnányi und Franz Welser-Möst und wollte Physiker werden. In Berlin wurde er im März als Einspringer bei „Salome“ zum Star. Jetzt pflegt Thomas Guggeis als Kapellmeister der Stuttgarter Oper die Kunst der Kommunikation.

StuttgartEs war ein Sprung ins kalte Wasser. Dass ein Dirigent absagt und sein Assistent für ihn einspringt, kommt immer mal wieder vor. Aber wenn der Dirigent Christoph von Dohnányi heißt und wenn das Einspringen bei der Premiere einer viel beachteten Inszenierung von Hans Neuenfels an einer der wichtigsten Bühnen Deutschlands erfolgt, liegt die Sache anders. Fünf Stunden vor der Generalprobe von Richard Strauss’ „Salome“ an der Berliner Staatsoper im März dieses Jahres hat Thomas Guggeis von der Demission von Dohnányis erfahren. Er hat das Desaster als Chance verstanden – und als Lohn dafür einen riesigen Karrieresprung gemacht. Plötzlich war der 25-Jährige Gesprächsthema in den Foyers und den Feuilletons, und selbst jene, die seine flinken Tempi bei Strauss kritisierten, zollten dem Mut des jungen Mannes hohen Respekt. Er habe, sagt Guggeis heute, vor allem „die Brüche extremer zeichnen“ wollen, von denen das Stück lebe. Und eingesprungen sei er auch nur, weil ihm „das Vertrauen der Staatskapelle die nötige Sicherheit gab“.

Damals hat Guggeis etliche Stellenangebote bekommen. Da hatte er sich aber schon entschieden, nach Stuttgart zu gehen. Also zum zweiten Mal eine Stelle anzunehmen, die ihm erst über Umwege angetragen wurde. In Berlin wurde er Assistent von Daniel Barenboim, nachdem er erfolglos in Londons Covent-Garden-Oper vordirigiert hatte. Zu Cornelius Meister, dem Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper, empfahl ihn der Karlsruher Staatstheater-Intendant Peter Spuhler, nachdem Guggeis eine Stelle in Karlsruhe nicht bekommen hatte. „Mir haben immer die Stellen neue Wege gebahnt, die ich nicht bekommen habe“, lacht der junge Dirigent heute. Wobei man anfügen muss, dass er viele gute Stellen auch bekommen hat – unter anderem war er als Assistent von Franz Welser-Möst zwei Mal bei den Salzburger Festspielen dabei, zuletzt 2017 bei Aribert Reimanns umjubeltem „Lear“.

Beim Gespräch im Foyer der Stuttgarter Oper sitzt ein schlanker, überaus jung anmutender Mann vor einem, dem man ansieht und anhört, dass er ganz genau weiß, was er will. An der Berliner Staatsoper hat er – „das war ein 120-Prozent-Job“ – Daniel Barenboim auf Schritt und Tritt begleitet. Guggeis hat nie aufgehört zu fragen, hat es geschätzt, dass sein Chef ihn nicht nur umblättern und bei Proben dabei sein ließ oder als Vermittler zu Sängern und Veranstaltern verstand, sondern ihm immer wieder die Chance bot, eigene Erfahrungen zu sammeln. So konnte Guggeis schon in Berlin szenische Proben leiten, wenn der Maestro (so nennt ihn Guggeis) abwesend war, konnte Partien mit Sängern einstudieren. Die Berliner Lehrzeit des jungen Dirigenten war intensiv. Und sie war dringend nötig, denn es gab einiges aufzuarbeiten. Den Kosmos Oper hat Thomas Guggeis nämlich erst mit knapp 18 Jahren für sich entdeckt. Vorher wollte er zuerst Pianist werden – bis ihm jemand sagte: Du interessierst dich doch eigentlich für das Ganze und willst kommunizieren – Pianisten sind sehr einsam. Dann hat Guggeis erst mal bis zum Bachelor Quantenphysik studiert. „Das war als erstes Standbein geplant“ – bis er merkte, dass auch Naturwissenschaftler oft einsam sind. Guggeis will aber nicht einsam sein. Er ist ein Kommunikator.

Dabei liegt seiner Familie Musik nicht unbedingt im Blut – trotz des Namens, der sich vom Kuckuck herleitet. Thomas Guggeis‘ Vater ist Brauereidirektor im Bayerischen. Nur ein Onkel war mal Solopauker unter Sergiu Celibidache bei den Münchner Philharmonikern. Aber der junge Mann, der jetzt in Stuttgart Kapellmeister und Assistent des Generalmusikdirektors Cornelius Meister ist, hat sich mit großem Talent, Energie und Fleiß in die Klangkunst hineingearbeitet.

Bei der Jungen Oper hat er schon Mozarts Singspiel „Der Schauspieldirektor“ dirigiert – mit kleiner, aber wechselnder Besetzung, die es ihm ermöglichte, viele Musiker des Staatsorchesters „als Individuen kennenzulernen“. Gerade leitet er im Opernhaus Puccinis „La Bohème“, will erst einmal „die Kernstücke des italienischen Fachs“ für sich erobern, denn das müsse „saugut dirigiert werden, sonst ist es tot“.

Langfristig soll es natürlich auch wieder Konzertrepertoire sein. Aber dafür braucht es Zeit. Und Energie, denn für Veranstalter und Agenten steckt der 25-Jährige zurzeit tief drinnen in der Schublade „Operndirigent“. Macht aber nichts. Thomas Guggeis liebt in der Oper das Zusammenwirken vieler Gewerke, die Begegnung mit immer neuen Sängern. Während „ein Sinfonieorchester nach ein paar Proben fast von alleine spielt“, mag er an der Oper die musikalische Herausforderung, als Dirigent im Graben zwischen Orchester und Bühne zu vermitteln. Das wird er in Stuttgart tun (in dieser Saison in Rossinis „Barbier von Sevilla“ und Henzes „Prinz von Homburg“), ein paar Mal noch als Gast an der Berliner Staatsoper und bei der Neuproduktion von Webers „Oberon“ am Theater an der Wien.

Daneben bleibt nicht viel Zeit: nicht für das Salsa-Tanzen, wenig für seine WG, wenig auch für das Kochen, das Guggeis sehr liebt. „Ich bin ständig im Lernmodus“, sagt er, und: „Ich lebe gerade sehr gerne und ganz für die Oper.“ Allerdings (und glücklicherweise): „Oper ist Oper, keine OP am offenen Herzen“. Sagt’s, lacht und geht hinaus, um wenigstens ein bisschen Leben zu leben, das er dann in die Kunst hineintragen kann.

Thomas Guggeis dirigiert „La Bohème“ im Stuttgarter Opernhaus am 26. Dezember (14.30 Uhr) sowie am 19. Januar (14.30 Uhr und 19.30 Uhr).