Visualisierung des Anbaus, der zurzeit neben dem Hölderlin-Wohnhaus entsteht. Quelle: Unbekannt

In Friedrich Hölderlins Geburtsstadt Lauffen entsteht am ehemaligen Wohnhaus der Familie ein Kulturzentrum.

LauffenWer den Amtssitz des Lauffener Bürgermeisters Klaus-Peter Waldenberger ansteuert, fühlt sich ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Über eine Steinbrücke führt der Weg zu einer ehemaligen Grafenburg, in der seit dem 19. Jahrhundert das Rathaus der Stadt untergebracht ist. In den Amtsstuben im Schatten des Bergfrieds umfängt einen gediegener Charme der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Damals ist das Gebäude entkernt worden, vom alten Rathaus blieben nur die Fassaden. Wenn irgendetwas kaputt geht, Lampen, Sanitärteile oder Beläge, achtet Waldenberger darauf, dass es möglichst im 60er-Stil ersetzt wird. „Gnadenlos“, schiebt er lachend nach. Das Interieur mit Gewalt auf modern zu bürsten, versucht der Schultes mit dem angesagten Sidecut erst gar nicht: „Wir möchten den überlieferten Stand halten“ – „und genauso ist es beim Hölderlinhaus“, fährt er nach einer kurzen Pause fort. Nächstes Jahr feiert man in Baden-Württemberg den 250. Geburtstag des großen Sohnes der Stadt, der in Lauffen am Neckar die ersten vier Jahre seines Lebens verbrachte, und bis zum Jubiläum im März 2020 soll auch das Dichterhaus an der Nordheimer Straße in neuem Glanz erstrahlen.

„Ein interessantes, anspruchsvolles und arbeitsintensives Projekt“, erklärt Waldenberger auf dem Weg zur neuen Hölderlin-Gedenkstätte. Unweit des Klosterhofs, wo bislang das Andenken an den Dichter in einem einzigen Raum gepflegt wird, begegnet man ihm erstmals – mitten im zähfließenden Straßenverkehr. „Wer nach Lauffen kommt, kommt nicht an Hölderlin vorbei“, sagt Waldenberger an der mitten im Kreisel platzierten Hölderlin-Skulpturengruppe des Künstlers Peter Lenk. Wenig später senkt Waldenberger den Daumen – so wie der Hölderlin-Kritiker Goethe in Lenks Kunstwerk. „Das muss weg“, quittiert der Bürgermeister den Anblick einer wenig ansehnlichen Gebäudegruppe, mit der man in den Nachkriegsjahren dem Fluss noch in seinem Prokrustetsbett unsanft auf den Leib gerückt ist. Auf der anderen Seite der Straße, unterhalb der altehrwürdigen Regiswindiskirche, hat die Stadt bereits einige Häuser gekauft – hier entstanden unter anderem Künstler-Ateliers. Und erst vor wenigen Wochen wurde auf dem Gelände der ehemaligen Zabergärten, wo einst auch der kleine Fritz gespielt haben mag, ein weiterer Teil des Stadtparks eröffnet. Gefühlt ist die ganze Innenstadt ein einziges Sanierungsgebiet. Auch das kulturelle Vorzeigeprojekt Hölderlinhaus im „Dörfle“ fügt sich in Waldenbergers Masterplan, diese alte, jung gebliebene Stadt aus dem Würgegriff moderner Massenmobilität zu befreien und sie in ihrer ganzen Attraktivität vom einst ungezügelten Fluss aus wieder neu zu erschließen und beleben. Nicht zuletzt für Radfahrer, die inzwischen im Neckartal Richtung Heilbronn frei Fahrt haben.

Auch wenn Lauffen die Geburtsstadt eines Dichters von Weltrang ist: Ein Sanierungsprojekt wie das Hölderlinhaus sei, anders als ein neuer Discounter oder Kunstrasenplatz, für den größten Teil der Bürgerschaft kein Aufreger – und schon gar kein kommunaler Selbstläufer, macht Waldenberger deutlich. Der eilende Bote im Stadt-Wappen ist in diesem Fall eher ein Symbol für die zahlreichen Anläufe und Überzeugungstouren, die der Bürgermeister seit seinem Amtsantritt vor 20 Jahren unternehmen musste. Doch heute steht das Dichterhaus, das noch bis vor kurzem ein kümmerliches Mauerblümchendasein fristete und das derzeit wie ein Verhüllungsobjekt des Künstlers Christo in (Bau-)Folie verpackt ist, nicht nur auf der Liste der baden-württembergischen Kulturdenkmäler, sondern wurde auch vom Bund als „national wertvolles Kulturdenkmal“ anerkannt. Gratifikationen in weicher Währung, die nicht nur eine gute Nachricht für die Marketing-Abteilung der 12000-Einwohner-Stadt sind, sondern sich bereits in harter Münze bezahlt gemacht haben. „Das Land hat dieses Projekt überragend unterstützt“, ist Waldenberger voll des Lobes vor allem ob der üppigen Zuschüsse aus dem Landessanierungsprogramm. Auch von den Denkmalstiftungen des Landes und des Bundes erfuhr das Projekt großzügige finanzielle Förderung. Und Waldenberger hat einen Lauffener Unternehmer als Großsponsor mit an Bord. Ein mäzenatischer Glücksfall. Die Stadt bekam von ihm nicht nur die Immobilie geschenkt, Waldenberger konnte mithilfe des Unternehmers die große Lösung mit einem Erweiterungsbau realisieren. Der Gemeinderat hatte sich zunächst gegen den Anbau gesperrt, mit dem ein modernes Pendant aus Sichtbeton zum Bestandsgebäude geschaffen werden soll. Dann deckelte er das gesamte Projekt bei fünf Millionen Euro. Klaus-Peter Waldenberger, der Lauffener Hans Dampf in allen Fördergassen, schaffte es tatsächlich, den städtischen Anteil bei rund einer Million zu halten. In der vorigen Woche verabschiedete der neue Gemeinderat auch die Konzeption der literarischen Dauerausstellung und das Betriebskonzept.

Derzeit wachsen die aufwendig auf Mikropfählen im Neckarkies gegründeten Sichtbetonteile des Erweiterungsbaus und der mächtige Aufzugschacht, mit dem eine barrierefreie Erschließung des ehemaligen Wohnhauses der Familie Hölderlin geschaffen wird, aus dem Boden. Im vergangenen Sommer wurden zwei mittelalterliche Grubenhäuser entdeckt, ausgegraben und vom Landesdenkmalamt dokumentiert. Das kostete die Stadt noch einmal etwas Geld, vor allem aber Zeit, was dem Bürgermeister ein paar Sorgenfalten auf die Stirn zeichnet.

Beim Betreten des Gebäudes hellt sich Waldenbergers Miene rasch wieder auf. Bei der Generalinstandsetzung des Gebäudes, das Friedrich Hölderlins Großvater 1743 erworben hatte, verläuft alles nach Plan. Die Familie gehörte der altwürttembergischen Ehrbarkeit, also der bürgerlichen Macht- und Funktionselite des Landes, an. Friedrich Jakob Hölderlin war Verwalter des herzoglichen Klosterguts, sein Sohn folgte ihm im Amt nach, verstarb aber früh. Ob der Dichter im 1918 abgerissenen, repräsentativen Amtshaus des Klosterverwalters oder in dem privaten Wohnhaus der Familie geboren wurde, lasse sich nicht mehr eindeutig feststellen, so Waldenberger.

Klar ist für ihn, dass von diesem Bauern- und Beamtenhaus, dessen älteste Schicht bis ins 16. oder 15. Jahrhundert zurückreicht, so viel wie möglich erhalten werden muss. Zum Beispiel die rußgeschwärzten Deckenbalken im Erdgeschoss, die ihre Farbe einem Räucherofen verdanken, der dort platziert war. Im künftigen Foyer verschwinden die Zwischenböden hingegen – bis unters Dach wird dieser Bereich, in dem die Besucher mit einem Film auf die Zeitreise ins 18. Jahrhundert eingestimmt werden sollen, geöffnet.

Das museale Herz des Hauses schlägt künftig in der Beletage. Die Ausstellungskonzeption der Lauffener Hölderlin-Beauftragten Eva Ehrenfeld lässt multimedialen Schnickschnack weitestgehend außen vor, sie setzt auf die Wirkung des Dichterwortes und die Aura des originalen Hauses als wichtigstes Exponat und authentischer Erinnerungsort. Textinstallationen, die den großen Sohn der Stadt vor allem aus seinen Briefen sprechen lassen, sollen dem Menschen Friedrich Hölderlin Kontur geben: dem Freund, dem Sohn und Bruder, dem Erfinder, Liebhaber, dem Religiösen und Genialischen. Es geht um Heimat und Familie, aber auch um Weltanschauung und weltweite Wirkung von Hölderlins Werk, das dem rezitierfreudigen Rathauschef offenkundig so vertraut ist wie das baden-württembergische Verwaltungsrecht.

Noch balanciert man in der Beletage über die Balken des geöffneten Fußbodens und kreuzt die Wege der Restauratoren und Ausfachungsspezialisten. Die komplette Elektrik muss unter die Dielen – die historische Substanz der Decken und Wände soll schließlich nicht leiden. Die Oberflächen wurden in den vergangenen Monaten behutsam restauriert. Die Vintage-Anmutung ist kein Fake – Unebenheiten, offenporige Stellen und Abnutzungsspuren wurden absichtsvoll erhalten. Auch die blau-grauen Wände werden nur einmal vorsichtig gestrichen, um den ursprünglichen Charakter so weit wie möglich zu konservieren, erklärt Waldenberger. Dann eilt er mit einer Melodie auf den Lippen hinauf zum Dach: Im schönsten Raum des Hauses, dem sogenannten Sommerzimmer, entsteht unter einer barockzeitlichen Stuckdecke eine chillige Ruhe- und Rückzugszone.

Am vergangenen Wochenende besuchte Waldenberger mit seinem Gemeinderat das Goethehaus in Frankfurt und das Hölderlinhaus in Bad Homburg – wiederaufgebaute Erinnerungsorte, wie der Tübinger Hölderlinturm. „Alles Hollywood“, entfährt es dem Lauffener Bürgermeister und Vize-Präsidenten der Tübinger Hölderlingesellschaft mit einem leicht süffisanten Lächeln.

Dabei hat der Verwaltungsfachmann durchaus Sinn für Inszenierung. Quasi nebenbei stellt der aus der Neckargemeinde Mosbach stammende Waldenberger, der einst als junger Bürgermeister im Lauffener Nachbarort Kirchheim einen Chor gründete, zusammen mit einem befreundeten Musiker ein Hölderlin-Musical auf die Beine. Das Projekt verkauft sich hervorragend, bis nach Frankfurt und Heidelberg, aber auch in der Region Stuttgart. Denkendorf etwa, wo Hölderlin zwei Jahre die Klosterschule besuchte, hat sofort zugegriffen. Nächstes Jahr geht das Musical auf Tour.

Doch was passiert in der Zeit nach 2020, wenn die Gedenkkarawane weitergezogen ist? Das Raumkonzept des neuen Hölderlin-Zentrums sei bewusst variabel gehalten, betont Waldenberger; auch der historische Keller des Hauses, in dem eine Art Kulturmanufaktur entstehen könnte, wird zum Veranstaltungsort. Die literarische Dauerausstellung – Hölderlin first – ist gesetzt, ebenso Waldenbergers persönliche Planung, im Nach-Jubiläumsjahr die Leitung des 80 Mitglieder starken Lauffener Hölderlin-Freundeskreises zu übernehmen. Ansonsten gilt für das neue Kulturzentrum wie für den umtriebigen Start-up-Typen im Rathaus: Es muss nicht immer Hölderlin sein.