„Impuls“ vom Choreografen Roman Novitzky. Foto: Stuttgarter Ballett - Stuttgarter Ballett

Nach der Tabula rasa unter den Hauschoreografen sucht Ballettintendant Tamas Detrich weiter neue Talente. „Creations I – III“ zeigt im Schauspielhaus die ersten Uraufführungen der laufenden Spielzeit.

StuttgartNach der Tabula rasa unter den Hauschoreografen sucht Ballettintendant Tamas Detrich weiter neue Talente, eineinhalb Glückslose hat er in diesem Abend immerhin gezogen. „Creations I – III“ zeigt im Schauspielhaus die ersten Uraufführungen der laufenden Spielzeit, zwei stammen von Tänzern des Stuttgarter Balletts. Fangen wir hinten an, denn eigentlich hat dieser Ballettabend die falsche Reihenfolge.

Ein tolles Anfangsbild zeigt Fabio Adorisio in „Calma Apparente“: Wie ein stürmisches Meer weitet sich der Rock von Elisa Badenes über die gesamte Bühne. Aber leider wickelt sie sich aus. Die „scheinbare Ruhe“ des Titels ist dahin, denn Adorisio entwickelt einen hektischen, unruhigen, immer gleichen Choreografiestil voll schmerzhaft aussehender Kontorsionen. Manchmal lässt der italienische Halbsolist seine acht Tänzer frontal, fast anklagend auf die Zuschauer zusteuern, was interessante Bilder und noch öfter die Frage „Warum?“ zeitigt. Würden die Themen wie Umweltzerstörung oder Unter-den-Teppich-Kehren nicht im Programmheft stehen, wir ahnten kaum, was den Choreografen inspiriert hat.

Übers stürmische Meer irrt auch Odysseus jahrelang, seine Gattin Penelope wartet getreulich. Wie kann eine Ehe über so lange Zeit halten, fragt sich der Berliner Choreograf Andreas Heise in „Lamento“. Der Geiger Bjarte Eike hat ihm eine Musik aus elektronischen Impulsen, barocken Tanzrhythmen und dem titelgebenden Trauergesang arrangiert, wir sehen den Weg des ikonischen Paares in drei Lebensaltern von blutjung bis gereift. Als drei getrennte Paare ziehen Penelope und Odysseus in kurzen Szenen einsam ihren Weg. Heise spiegelt das Erlebte und das Erhoffte, Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart, indem er immer wieder die anderen Alter Egos um sie schart, die müde in ihre Bewegungen einstimmen oder dagegen antanzen.

Bregje van Balens Kostüme geben durch die Farbe Rot eine deutliche Orientierung, welches Lebensalter wir gerade sehen. Heise choreografiert musikalisch und zeigt lyrischen Tanz in einem einfachen, unprätentiösen und ausdrucksvollen Stil, in dem aber nicht einmal das irritierende Moment des Stücks, die Tänzerin Agnes Su, einen Kontrapunkt setzt. Wie durch einen Spalt in der Zeit steigt sie anfangs aus dem Dunkel, laut Choreograf stellt sie als Göttin Athene die Beschützerin des Herumirrenden dar. Aber eigentlich wirkt sie, in seinem Rücken über ihm thronend, wie die Pein der langen Wanderschaft oder seine drückende Einsamkeit. Zum Schluss verschwindet sie wieder, aber das Glück der Vereinigung bleibt aus. Odysseus, der großartige Martí Fernández Paixá, verlässt den Arm seiner Frau und zieht sich zurück: Ende. Bei Maurice Béjart hätte ihn wahrscheinlich die weibliche Figur der Irrfahrt mit visionärem Trost empfangen und wir hätten etwas von der ewigen Einsamkeit des Menschen erfahren. Einfach ist schon schön, zumal wenn so ausdrucksstark getanzt wird wie hier, aber vielleicht bleibt Heises feiner Entwurf dramaturgisch dann doch zu einfach.

Trommeln und Licht geht immer, dachte sich Roman Novitzky, inspiriert vielleicht vom letzten Ballettabend „Atem-Beraubend“, wo gleich zwei Stücke mit diesen Effekten punkten. Aber sein „Impuls“ variiert das Spiel mit dem Rhythmus auf kluge, eloquente Weise, in einer abstrakten, durchweg klaren Bewegungsstudie. Umschwebt von einem weißen Lichtkreis steht hinten Marc Strobel vom Stuttgarter Staatsorchester an seiner großen Rahmentrommel. Er streichelt sein Instrument mit nackten Händen, die sich in den nackten Füßen der Tänzer spiegeln. Ganz direkt fahren die Tonimpulse, zunächst sind es elektronisch verfremdete Effekte, in die sieben Körper. Später kommt eine Marimba-Melodie dazu, Stäbe klöppeln härter auf die Trommel. Alles wirkt hier zusammen und bildet eine Einheit: die faszinierende Klanglandschaft, die elegante, schwarz-weiße Ästhetik der Ausstatter Yaron Abulafia und Aliki Tsakalou, der von hinten nach vorne führende Lichtweg und Roman Novitzkys reiche, mitreißende Dynamik.

Wohl hat er viel vom Kollegen Edward Clug gelernt, dessen kurzsilbiges, organisch fließendes Idiom wir hier sehen; aber Novitzky weist darüber hinaus, lässt die Männer plötzlich weit springen oder spannt mit Bewegungen, die diagonal um den Körper spielen, ein Leitmotiv durch den Abend. Immer wieder brechen kurze Solos aus den geordneten Formationen der Tänzer aus und eine(r) deutet die Rhythmen mit schöner Eigenwilligkeit plötzlich ganz anders. Doch immer wieder vereint Novitzky seine Tänzer auf organische, manchmal fast unmerkliche Weise im Unisono. Strukturen spiegeln sich ineinander, verändern sich minimal, der Tanz wirkt leicht und souverän, klar und geometrisch. Der Slowake Novitzky, erster Solist der Kompanie und höchst begabter Tanzfotograf, beweist hier ganz klar das nötige Handwerk und den sicheren Umgang mit Ideen und Formen. Interpretiert wird sein Stück so hingebungsvoll wie der ganze Abend von den Stuttgarter Tänzern, die sich wie immer als perfekte Gefäße der erfindenden Künstler erweisen.

Weitere Aufführungen: 3./4., 20./21. Dezember, 10./11. Januar.