Corinna Harfouch (links) und Karin Lithman in „Persona“. Foto: Arno Declair - Arno Declair

Die 50-Prozent-Frauenquote, die Festivalleiterin Yvonne Büdenhölzer ab dem Theatertreffen 2020 einführen will, sorgte bei der diesjährigen Auflage in Berlin für kontroverse Diskussionen. Staatsministerin Monika Grütters (CDU) sprach sich dagegen aus.

BerlinDie Identitäten der Krankenschwester Alma und der Schauspielerin Elisabet Vogler, die plötzlich aufgehört hat zu sprechen und so ewig in der Rolle der Elektra verharrt, zerfließen in Ingmar Bergmans Experimentalfilm „Persona“ aus dem Jahr 1966. Die Regisseurin Anna Bergmann, Schauspieldirektorin am Badischen Staatstheater Karlsruhe, hat den in Schwarzweiß gedrehten Filmstoff am Deutschen Theater in Berlin und am Stadsteater Malmö auf die Bühne gebracht. Am Meer kommen sich Pflegerin und Patientin nahe. Klug hinterfragt die Regisseurin die Konstruktion von Weiblichkeit. Ihre psychologisch tiefgründige Inszenierung war als eine der zehn bemerkenswertesten Regiearbeiten zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Gefangen in einer Grotte der Angst sind die zwei Frauen. Immer tiefer versinken sie im Wasser. Jo Schramm hat einen Bühnenraum geschaffen, der die Enge der Situation beklemmend zeigt. Kalte Grautöne hellt der Lichtdesigner Sven Erik Andersson in der deutsch-schwedischen Koproduktion mit seiner psychedelischen Komposition auf. Bergmann kehrt starke Gefühle der Spielerinnen nach auch mit Videos nach außen. Anfangs sind Corinna Harfouch als Pflegerin und ihre schwedische Kollegin Karin Lithman eingesperrt in ihre Identitäten. Lane Schäfer hat Kostüme entworfen, die nicht nur Filmklischees zitieren. Wie Korsette halten die Schwesterntracht und das weiße Gewand die zwei Frauen gefangen. Sie wirken so, als seien sie aus der Zeit gefallen. Lithman spielt in der deutschsprachigen Fassung die stumme Schauspielerin. In Schweden übernimmt ihre deutsche Kollegin diesen Part. Wie sich die zwei großen Künstlerinnen Schritt für Schritt die jeweils andere Rolle aneignen, ist stark. Mit solcher Tiefenbohrung in unergründliche Persönlichkeitsschichten setzt Anna Bergmann Akzente.

Das tat die Karlsruher Schauspielchefin auch mit ihrer Entscheidung, in ihrer ersten Spielzeit am Badischen Staatstheater nur Frauen die Regie zu überlassen. Das viel beachtete Experiment war sogar der New York Times einen Bericht wert. Vor allem aber kam Bergmanns mutiger Schritt beim Publikum sehr gut an. Frauen sind am deutschsprachigen Theater noch immer weit unterrepräsentiert. Nach einer Studie des Vereins Pro Quote werden an deutschen Theatern 70 Prozent der Inszenierungen an Männer vergeben.

Um da ein deutliches Zeichen zu setzen, führt Yvonne Büdenhölzer, die künstlerische Leiterin des Berliner Theatertreffens, eine 50-Prozent-Frauenquote ein. „Eine informelle Männerquote hat es schon immer gegeben“, sagt Büdenhölzer mit Blick auf die fehlende Geschlechtergerechtigkeit am Theater. Sie hofft, dass ihr Schritt die Intendanten dazu bewegt, mehr Produktionen von Frauen auf der großen Bühne zu zeigen. „Da liegt vieles im Argen.“

Büdenhölzers Entscheidung wurde bei der wichtigsten Werkschau des deutschsprachigen Theaters kontrovers diskutiert. Im Rahmen des Theatertreffens fand der Kongress „Burning Issues“ statt, den Theaterfrauen wie Lisa Jopt und die ehemalige Bonner Schauspielchefin Nicola Brakamp angestoßen haben. In diesen Rahmen sprach sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) heftig gegen die Frauenquote aus: Die Vermischung von Qualitäts- mit Strukturkriterien bedeute eine Vorgabe für das Auswahlergebnis: Die besten sollen gewinnen, aber nur, wenn mindestens die Hälfte davon Frauen sind. „Das halte ich für kulturpolitisch widersprüchlich“, sagte Grütters. Die Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen muss nach ihren Worten nach rein künstlerischen Kriterien erfolgen. Da die siebenköpfige Fachjury, die die Inszenierungen auswählt, seit 2017 ungefähr paritätisch besetzt ist (vier Frauen und drei Männer, 2020 vier Männer und drei Frauen), hält die Ministerin die Quote für verzichtbar. Kritik an der Quote gab es auch von Theatermacherinnen, die keine „Quotenfrauen“ sein wollen. Beim diesjährigen Theatertreffen waren mit Anna Bergmann, Claudia Bauer und dem Kollektiv She She Pop drei Regisseurinnen beziehungsweise weibliche Teams vertreten. Doch dass es in puncto Geschlechtergerechtigkeit im Theater einen Umbruch gibt, ist bereits jetzt deutlich zu spüren.

Zum ersten Mal beim Theatertreffen dabei war der Regisseur Torsten Lensing. Er hat den Kultroman „Unendlicher Spaß“ des amerikanischen Autors David Foster Wallace auf die Bühne gebracht: brillant als Schauspielertheater mit Andre Jung, Devid Striesow und Ursina Lardi, stellenweise aber etwas plakativ. So kamen die Figuren, deren verletzte Seelen Wallace komplex und sprachlich stark gezeichnet hat, nicht immer überzeugend zum Tragen. Den mehr als 1500 Seiten starken Roman haben Lensing und seine Co-Autoren Thierry Mousset und Dirk Pilz allerdings dramaturgisch hervorragend gestrafft. Insgesamt fesselt der vierstündige Abend daher nicht nur dank der hohen Qualität des Ensembles, sondern auch als Geschichte von Menschen, die an ihrem Leben verzweifeln.