Nur durch eine Glasscheibe getrennt können die Besucher in der Staatsgalerie dem Restaurator und Lehmbruck-Experten Peter Bux auf die Finger schauen. Foto: dpa - dpa

Was spielt sich hinter den Kulissen der Staatsgalerie Stuttgart an Restauration und Forschung ab? Das Jubiläumsjahr bringt einige Neuerungen.

StuttgartDas Jubiläumsjahr 2018 steht für die Stuttgarter Staatsgalerie unter keinen sehr günstigen Auspizien, muss doch das 175-jährige Bestehen des Hauses unter deutlich erschwerten äußeren Bedingungen gefeiert werden. Die S 21-Großbaustelle hat sich längst bis vor die Pforten des Hauses gefressen, während ein zuverlässiges Wegeleitsystem im Baustellen-Dschungel auf sich warten lässt. Die Auswirkungen solcher Zumutungen waren bereits im vergangenen Jahr mit einem deutlichen Besucherrückgang in der Staatsgalerie zu spüren.

Auf der anderen Seite wurden beim Thema öffentliche Präsenz dem Museum Steine in den Weg gelegt. Etwa bei einem Banner. Diese großformatige Werbefläche vor dem Altbau ist als im Grunde einziges großes Schaufenster in den Stadtraum hinaus in ihrer Bedeutung für das Museum kaum zu unterschätzen, erläutert Staatsgalerie-Direktorin Christiane Lange bei der Vorstellung der Pläne und Projekte für das Jubiläumsjahr. Doch auf diesen wichtigen Effekt muss sie nun verzichten – zu einem erheblichen Teil jedenfalls. Denn nachdem die Fassadensanierung die Denkmalschützer auf den Plan gerufen und zur Verbannung des bisherigen Banners für Sonderausstellungen geführt hatte, sieht ein nun gefundener Kompromiss so aus: Die Staatsgalerie kann ein etwa halb so großes Banner wie das alte an einem vor der Fassade zu errichtenden separaten Gerüst anbringen. Kostenpunkt: circa 50 000 Euro.

Bei der Bauzaun-Werbung gelangte man soeben nach zweijährigem Ringen über den Behördenumweg via Finanzministerium zu einer Vereinbarung und kann nun zwischen Bahnhof und Staatsgalerie einen Teil der Bauzäune für Eigenwerbung beziehungsweise Weghinweise nutzen – die Bahn hatte von Anfang an nichts gegen die Bespielung der Flächen, die freilich dem Land gehören.

Geschichte in Zeitkapseln

Auf paradoxe Weise passen solche Manifestationen bürokratischer Umständlichkeitskultur fast schon wieder ins Konzept der Jubiläumsausstellung – sozusagen als jüngstes Kapitel einer wechselvollen und mitunter konfliktreichen Geschichte der Perzeptionen, Diskussionen und auch Provokationen. Christiane Lange plant nämlich nicht einfach eine chronologische Aufarbeitung der 175-jährigen Geschichte des einst von König Wilhelm I. als „Museum der bildenden Künste“ ins Leben gerufenen Hauses, sondern eine Reflexion der Institution Staatsgalerie im Spannungsfeld von politischen Debatten und gesellschaftlichen Diskursen. In fünf sogenannten Zeitkapseln soll unter dem Motto „#meinMuseum“ gezeigt werden, wie solche Prozesse das Selbstverständnis der Institution Staatsgalerie beeinflussten und Neupositionierungen – nicht zuletzt bauliche – anzustoßen vermochten. Als interaktives Feature kommt eine Social-Media-Wall zum Einsatz, auf der Besucher ihre Eindrücke, Einsprüche und Anregungen dem Haus mit- und untereinander teilen können.

Zur DNA der Staatsgalerie gehört neben der klassischen Ausstellungsarbeit ebenso das Sammeln, Bewahren, Restaurieren und Erforschen von Werken. Letztere Tätigkeiten finden in der Regel von der Öffentlichkeit unbemerkt statt. Christiane Lange hat das geändert: Die, die üblicherweise im Verborgenen offenen Fragen auf den Grund gehen – sie sieht man seit Kurzem sehr wohl, und zwar mitten im Ausstellungsbetrieb, lediglich durch eine Glasfront vom Publikum getrennt. Das Projekt Schauatelier startete soeben im Steib-Bau mit Wilhelm Lehmbrucks „Großer Sinnenden“. Lange erfüllte sich mit dem Schauatelier einen lange gehegten Wunsch und erhofft sich von diesem Projekt – nicht zuletzt mit Blick auf die im Herbst beginnende große Lehmbruck-Ausstellung „Variation und Vollendung“ (28. September 2018 bis 24. Februar 2019) – wichtige Erkenntnisse über die Arbeitsweise dieses Wegbereiters der modernen Skulptur. Sie spricht von einem „Meilenstein in der Lehmbruck-Forschung“.

Neben dem Schauatelier verdankt sich ein anderes öffentliches Restaurierungsprojekt der Förderung der Wüstenrot-Stiftung. Der Zahn der Zeit hat auch an Joseph Beuys‘ Installation „Plastischer – Elastischer Fuß“ seine Spuren hinterlassen. Die Arbeit hatte der Künstler einst zur Eröffnung der Neuen Staatsgalerie 1984 eingerichtet. Doch inzwischen ist nicht nur teilweise – buchstäblich – die Luft aus dem Werk raus, sondern auch Fett ausgetreten. Für das notwendig gewordene Lifting ist besondere Expertise gefragt – deshalb seien bei diesem Restaurierungsprojekt auswärtige Spezialisten am Werk, so Lange.

Die enge Verzahnung von Forschung und Vermittlung und die Bedeutung von Drittmittelgeldern zeigt auch das mit Hilfe der Volkswagenstiftung finanzierte Projekt zum Marcel-Duchamp-Bestand der Staatsgalerie. Sie ist für seine Werke ein international namhafter Standort und wird dem Vater des Readymades – ebenfalls im kommenden Herbst – die Ausstellung „Marcel Duchamp. 100 Fragen. 100 Antworten“ widmen (23. November 2018 bis 10. März 2019). Der Untertitel der Schau spielt auf das im Besitz der Staatsgalerie befindliche Archiv des Schweizer Künstlers und Duchamp-Forschers Serge Stauffer (1929-1998) an, der mit dem französischen Kollegen über viele Jahre hinweg im Briefkontakt stand. Die Präsentation dieser besonderen Archivalien ergänzt die Schau des umfangreichen Stuttgarter Bestands an Duchamp-Werken, der nun erstmals, so Christiane Lange, aufbereitet und der Öffentlichkeit gezeigt wird.

Als ein kurioser Recherche-Fall entpuppte sich die Analyse einer Kollektion von fast 150 Blättern von Ernst Ludwig Kirchner im Rahmen eines Forschungsprojekts, bei dem es auch um mögliche Restitutionsansprüche ging. Die Staatsgalerie hatte in den Fünfzigerjahren, wie etliche andere Museen auch, Papierarbeiten aus einer vermeintlichen „Sammlung Dr. Gervais, Zürich/Lyon“ – so der Inventareintrag – gekauft. Die ganze Geschichte entpuppte sich jetzt bei den Provenienzuntersuchungen als Fake – offenbar erfunden von einem Kirchner-Schüler, um Ausfuhrbestimmungen umgehen und die Arbeiten auf den deutschen Kunstmarkt bringen zu können. Immerhin: Die Stuttgarter Experten fanden auch heraus, dass sämtliche Werke echt sind, was nicht nur Christiane Lange aufatmen ließ. Die Staatsgalerie nimmt den Abschluss der Recherchen und den in diesem Jahr begangenen 80. Todestag des expressionistischen Künstlers zum Anlass, den seit Jahrzehnten nicht mehr umfassend gezeigten Kirchner-Bestand unter dem Titel „Die unbekannte Sammlung“ der Öffentlichkeit zu präsentieren (29. Juni bis 21. Oktober).

Spektakuläre italienische Werke

Bei einem anderen Projekt liegen die Forschungsergebnisse seit wenigen Tagen in Buchform publiziert vor. In den vergangenen Monaten war ein interdisziplinär arbeitendes Team von Kunsthistorikern, Restauratoren und Naturwissenschaftlern damit beschäftigt, dem Geheimnis der sogenannten Stuttgarter Apokalypse-Tafeln aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts auf die Spur zu kommen. Die mit Mitteln der Oetker-Stiftung finanzierten Untersuchungen der beiden großformatigen Tafeln legen eine Verortung in der höfischen Kultur des Königs Robert von Anjou in Neapel nahe. Möglicherweise handelt es sich um Teile eines Schreins zur Aufbewahrung des biblischen Buches der Offenbarung.

Ein anderes Werk würde die Staatsgalerie sehr gerne zum Jubiläum ihrer Italiener-Sammlung einverleiben. Es handelt sich um den „Piratenüberfall“ des neapolitanischen Barockmalers Filippo Falciatore. Der Erwerb dieser bislang lediglich als Leihgabe den „Brigantenüberfall“ ergänzenden Darstellung wäre ein echter Coup für die Staatsgalerie. Mit der Aktion „Avanti!“ der Freunde der Staatsgalerie und 175 Spendern, die jeweils 1000 Euro in die Hand nehmen, soll er realisiert werden.

www.staatsgalerie.de