Ein Gastspiel mit ihr ist ein Ereignis: Anne-Sophie Mutter. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Das Wunderkind, das zu Wonder Woman geworden ist: Im gerade beginnenden fünften Jahrzehnt ihrer Karriere, unglaublich nicht nur wegen ihrer blühenden Erscheinung, sondern wegen der nahtlosen Konstanz ihrer künstlerischen Leistung, symbolisiert die vielfältig engagierte Anne-Sophie Mutter so etwas wie das Gute, Wahre, Edle der deutschen Kultur. Selbst in der topbesetzten Reihe der Meisterkonzerte in der Liederhalle in Stuttgart, deren aktuelle Saison sie gemeinsam mit der Philharmonia Zürich unter Fabio Luisi am Freitag beschloss, ist ein Gastspiel der Stargeigerin noch immer ein Ereignis.

Und wie so oft in ihrer von zahlreichen Uraufführungen geprägten Karriere nutzte sie ihren Ruhm, um dem Publikum vor den großen Klassikern der Violinkonzerte die selten gespielte Moderne nahezubringen, in diesem Fall ein Streicherwerk des 1996 verstorbenen Toru Takemitsu. Sein kurzes „Nostalghia“ ist eine fahle, hoffnungslose Trauermusik, eine seltsame Mischung aus russischer Schwermut und der japanischen Hinnahme des Leidens, 1987 für Yehudi Menuhin entstanden. Der Titel huldigt dem gleichnamigen Film des Russen Andrej Tarkowski, der von Heimat- und Sinnverlust erzählt.

Gesang der Einsamkeit

In gedämpften, fahlen Farben ließ die Solistin tief im Kopf eine Landschaft der Erinnerung entstehen, Takemitsus Musik geht weit in die Extreme und reißt zwischen abgrundtiefen, schmerzvollen Klängen und hohen, fast verpfeifenden Flageolett-Tönen eine große Leere in der Mitte auf. Einmal begehrt die Geige in machtloser Attacke auf, ähnlich minimalistisch blüht später ein Windhauch von Lyrik auf in diesem Gesang der Einsamkeit, den die Streicher der Philharmonia Zürich in ähnlich subtil abgestuften Aquarelltönen untermalten.

In eine eigenwillige Distanz der Erinnerung rückte Anne-Sophie Mutter auch das Violinkonzert von Max Bruch, das bekannteste Werk des Brahms-Zeitgenossen und bis heute ein spätromantisch-klassizistischer Pophit des Genres. Die berühmte elegische Melodie des zweiten Satzes zerfloss ihr nicht in Gefühl, die Solistin badete ihre Violine nicht im Vollklang des Orchesters, legte deren Stimme nicht einmal als schwebenden Gesang darüber, sondern klang fast ein wenig unnahbar in ihrer einsamen Eleganz. Mit Nachdruck breiteten Luisi und seine Philharmonia einen satten Orchesterklang der Romantik vor ihr aus, gewissermaßen die klare Essenz jener Epoche, über die sich die Geigerin dann ihre ganz persönlichen Gedanken machte.

Am Rand der Extreme

So bekamen auch die Trillerketten und virtuosen Läufe des Vorspiels, der tänzerische Übermut des Allegro-Finals ihren tieferen Sinn: Mit den Mitteln ihrer perfekten Dynamik und Phrasierung wagte sich Mutter an den Rand der Extreme vor, zeigte zwischen einer fast rustikal eingefärbten Tiefe und der spitz-verästelten Virtuosenbrillanz den weiten Weg der letzten Romantiker von ihrer ländlichen Herkunft in die Salons der Jahrhundertwende - Max Bruch für Intellektuelle, wenn man so will.

Fabio Luisi, Generalmusikdirektor am Zürcher Opernhaus, Chefdirigent der New Yorker Met und von seinen lange zurückliegenden Dirigaten an der Stuttgarter Oper in bester Erinnerung, schlug in der zweiten Hälfte mit seinem Orchester einen starken, erhabenen Mittelweg aus streng zupackender Gestaltung und freiem Fließenlassen ein. Die vierte Sinfonie von Johannes Brahms beginnt mit einem spröden Kopfsatz, auf dessen zweitönige Motive eine zuweilen zerklüftete, unschlüssig wirkende Partitur folgt. Die Philharmonia Zürich, wie das Orchester der Oper Zürich neuerdings heißt, bestach durch die klare, majestätische Einfärbung ihrer einzelnen Orchestergruppen und durch subtil wandlungsfähige Pizzicati im zweiten Satz. Ihr Dirigent bewies seinen zweifellosen Glauben an die Größe des etwas schroffen Werkes mit einem warmen, großflächigen Klang.