Loch in der Landschaft: Siegfried Zwickers „Near Silbury Hill“. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Es ist immer schön, wenn Arbeiten aus der Graphischen Sammlung der Stadt Esslingen das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Da nimmt man auch in Kauf, dass eine kleine Auswahl-Präsentation den Charakter eines Sammelsuriums widerspiegelt, locker verbunden durchs Allerweltsthema künstlerischer Raumwahrnehmung. So in der Ausstellung „Near Silbury Hill“ im Esslinger Bahnwärterhaus. Der Titel stammt von einem der Bildkästen des Stuttgarter Künstlers und Fotografen Siegfried Zwicker. Diese Serie bildet die fortlaufende Kette, der neue (und ältere) Zugänge der Graphischen Sammlung angegliedert sind: klassisch Modernes sowie jüngere und ein paar Gegenwartswerke.

Zwickers Titelarbeit - ein Fotodruck einer monotonen Agrarlandschaft mit Rotbeeren-Strauch als Randakzent - bezieht sich auf die Nähe zum Silbury Hill, einem prähistorischen künstlichen Hügel in Südengland. Dem scheint ein strukturbildender Eingriff verpflichtet: In allen Arbeiten der Serie klaffen kreisrunde Löcher unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Zahl - von einem bis vier. Die abgelichteten Gegenden werden gleichsam archäologisch perforiert, auf dass der Blick ins Leere der doppelbödigen Bildkästen dringt, Raum gewinnt und doch nichts sieht. Die Golfplatz-Methode der Löcher in der Landschaft wendet Zwicker auf die Postkartenvedute einer Hebriden-Insel ebenso an wie auf Naturbelassenes, einen Bachlauf in der Wildnis oder das Blattwerk einer Eiche mit prallen Eicheln. In einer Fotocollage beschwört er ein kanadisches Ferienidyll der 60er-Jahre. Farbpunkte statt Löcher verfremden hier die Bildklischees mit Blockhaus, Kanus und heiler Familie im Wald-Wiesen-Wasser-Traumraum.

In der Nähe des Silbury Hill befindet sich die ebenso prähistorische Stonehenge-Stätte. Naheliegend also, die gleichnamige Lithographien-Serie Henry Moores aus dem Sammlungsbestand auszugraben. Die Steindrucke geben die Steinkolosse wuchtig, bisweilen aber auch wie mikroskopische Strukturen wieder: Das Monumentale wird fein, der große Bildhauer spürt obendrein figurativen Assoziationen nach. Zwei der massigen Quader gleichen in der Bildperspektive gar einem seit Urzeiten erstarrten menschlichen Liebespaar.

Die düsteren fotografischen Parkplatz-Unorte Willie Dohertys und die raffiniert-abstrakten Dreiecksgeometrien Paul Uwe Dreyers markieren unter den Arbeiten der jüngeren Jahrzehnte die Extrempole künstlerischer Raumgestaltung. Der Esslinger Heribert Friedland ist mit einer seiner wundersamen Miniaturen vertreten, wo sich Gegenstandsahnungen in zarte Nuancen auflösen. Unter den modernen Klassikern glänzt Pierre Bonnards Dame in der Badewanne vor dekorativem Fliesenmuster, eine Davoser Bleistiftskizze Ernst Ludwig Kirchners vereint Spontaneität und Kalkül, aus Jean Arps Spätwerk sind elegant reduzierte Rundformen bis hin zu surrealen Kleckswesen zu sehen. Und die älteste datierte Arbeit ist eine der schönsten: Ida Kerkovius’ „Landschaft“ von 1913 mit ihrem dezent orchestrierenden Farbeinsatz, ihrer träumerisch erotischen Symbolik.

Bis 27. August. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags von 15 bis 18 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr.