Foto: Lg/Julian Rettig - Lg/Julian Rettig

Das O-Team hat sich auch überregional einen Namen gemacht. Aktuell nimmt sich die Gruppe aus Stuttgart Segen und Fluch technischer Innovationen als Objekt theatraler Untersuchungen vor.

StuttgartKürzlich hat eine Meldung erheitert: ein französisches Ehepaar fuhr in München mit seinem Auto in einen U-Bahnschacht – im Glauben, es handle sich ein Parkhaus. Zu Schaden kam außer dem Wagen niemand. Wann aber spricht man von einem tragischen Unfall, wann sagt man einfach nur, das war ein blöder Unfall?

Diese Frage, die aktuell die Stuttgarter Theatermacher von O-Team umtreibt, ist nicht immer so einfach zu beantworten wie im Fall der französischen Autofahrer. Das Bühnenbild für die nächste Arbeit „Hard Drive“, ein theatraler Crashtest in einem Unfallauto, steht schon. „Wir haben uns ein Auto vom Schrottplatz ausgeliehen und ließen es, nachdem der Motor ausgebaut war, auf einen Poller fahren, sodass das Vehikel jetzt schön eingedellt ist“, sagt Nina Malotta.

Im Stück wird es aussehen, als sei der Wagen an ein Dixi-Klohäuschen geprallt. Samuel Hof, ihr Theaterkompaniekollege, sagt: „Hightech trifft auf etwas Elementares im Menschenleben, den Gang auf die Toilette.“ Das Publikum wird im Auto sitzen und „bespielt“, was genau zu erleben sein wird, ist noch geheim, sicher aber ist, dass dieses Auto Dinge tun kann, die den Zuschauer wundern, vielleicht auch ein bisschen erschrecken dürften.

Die Theatergruppe befasst sich in einem mehrjährigen Projekt mit dem Thema „Unfall“, hat dafür hochkarätige Förderungen bekommen, vom Landesverband freier Tanz- und Theaterschaffender Baden-Württemberg ebenso wie vom Fonds Doppelpass Plus von der Kulturstiftung des Bundes. Samuel Hof: „Uns hat die Frage beschäftigt, wie viel Unvorhergesehenes die Technik birgt, ob die Gesellschaft durch technische Innovation sich wirklich optimieren lässt und welche Risiken und Unfälle dabei möglich sind.“ Das O-Team hat für den Doppelpass zwei Kooperationspartner, das Theater Aalen und das HochX in München. HochX ist das, was sich die freien Stuttgarter Gruppen seit Jahren wünschen, eine Spielstätte für die freie Szene.

Das gut vernetzte O-Team hat vor zwölf Jahren seine erste Arbeit in den Stuttgarter Wagenhallen gezeigt, „Hermannschlachten“. Die Gruppe spielt inzwischen öfter nicht nur in Kellern und auf Bauernhöfen, sondern in Theatern wie der Rampe und im Figurentheater Fitz, hat sich überregional einen Namen gemacht, wurde zu Festivals eingeladen.

„Zwar werden wir immer wieder mal als Kollektiv bezeichnet“, sagt Samuel Hof, „aber das sind wir nicht. Bei uns sind nicht alle gleichberechtigt, sondern es gibt die Trennung von denjenigen, die auf, und denjenigen, die hinter der Bühne agieren.“ Der als Regisseur arbeitende Samuel Hof (38) und die Malerin und oft für das Bühnenbild zuständige Nina Malotta (37) sind hauptberuflich als O-Team unterwegs, Antonia Beermann, Folkert Dücker, Markus Niessner und Pedro W. Pinto gehören zum ständigen Team, arbeiten aber auch mit anderen Künstlern. „Wir suchen je nach Projekt Musiker, Bildende Künstler, Videokünstler, Schauspieler, Figurenspieler“, sagt Nina Malotta.

Wofür aber steht die Gruppe? Vor allem dafür, sich nicht zu sehr einordnen zu lassen. Deshalb das O im Namen. Ursprünglich hieß die Gruppe Team Odradek. „Das stammt aus der Erzählung ,Die Sorge des Hausvaters’ von Franz Kafka“, sagt Samuel Hof, „Odradek ist etwas, das man nicht recht einordnen kann. Ist es ein Ding, ein Wesen, nach welchen Regeln agiert es?“ Fast schade, dass die Anspielung verloren ging und zu dem nach einem Sondereinsatz-Team klingenden O-Team gekürzt wurde. Aber auch freie Gruppen stehen vor der Aufgabe, ihr Publikum finden zu müssen. Kafka-Kenntnisse sind da offenbar ein bisschen viel verlangt.

Dabei, und das macht die Qualität der Gruppe auch aus, haben sie Lust am Text, nehmen sich nicht nur populäre Stoffe wie den „Zauberer von Oz“ vor, sondern auch sperrige, unbekannte Texte. Manchmal kommen sie im Spiel nicht ohne Didaktik aus wie bei der Einführung zum Beginn der Erfolgsproduktion „:-Oz“, doch dann entwickelt sich eine hintergründige, anarchische Performance, die dieses Jahr zum Festival „6 Tage frei“ eingeladen war, bei dem zehn herausragende Arbeiten der freien Szene aus Baden-Württemberg vorgestellt wurden.

Mal ist es die Lektüre, die die O-Teamkünstler inspiriert, manchmal sind es Dokumentationen im TV-Sender Arte. Man darf sich das Entstehen der mindestens ein Jahr voraus geplanten Produktionen ein bisschen wie eine Recherche für ein Uni-Seminar zu einem literarischen Motiv vorstellen. „Viele Aspekte, über die wir nachdenken, verwenden wir nicht“, sagt Samuel Hof, „sie führen uns aber oft zu den nächsten Projekten.“

Literarische und philosophische Texte bearbeiten ist indes längst auch beliebter Sport in den Stadttheatern. Wie positioniert man sich da? „Wir arbeiten anders, machen alles selber, müssen kreative Lösungen finden, weil wir keinen großen technischen Apparat zur Verfügung haben“, sagt Nina Malotta. „Wir haben ein anderes Publikum“, sagt Samuel Hof, „das diese Perfektion nicht sucht, das näher dran sein will, an anderen theatralen Formen interessiert ist“.

So frei freilich wie die freien Theater im Titel sind, können sie nicht immer agieren. Sie beantragen Finanzierungen bei meist staatlichen Institutionen. Um gefördert zu werden, sollten sie künstlerischen, inhaltlichen Anforderungen genügen, politischer Anspruch sollte sowieso erkennbar sein. Hof: „Wir wollen gesellschaftlich relevant sein, aber wir finden, dass Kunst weder nur nützlich noch nur unterhaltsam sein muss.“ Nina Malotta: „interessant wäre es, einmal voraussetzungsfrei Künstler zu fördern und zu schauen, was passiert.“ So oder so, im besten Fall, und oft gelingt es dem O-Team, können Künstler Fragen stellen, verunsichern, Ambivalenz zumuten. Gut also, dass O-Team das O aus dem Kafkatext behalten hat und sich selbst und die Zuschauer daran immer wieder erinnert.

„Hard Drive“ ist ab 20. September in München zu sehen, „Dunkle Materie“ feiert seine Wiederaufnahme am 7. November im Kunstverein Wagenhalle in Stuttgart.