Nach verhaltenem Start läuft Mark Forster beim Konzert in Stuttgart zu großer Form auf.. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart -Sie heißen Tim Bendzko, Philipp Poisel, Johannes Oerding oder Max Giesinger, der vergangene Woche im LKA-Longhorn gastierte. Woher kommen plötzlich all diese gefühlvollen jungen Männer, und warum stehen so viele auf ihre Musik? Das fragte sich auch die „FAZ“ und antwortete sinngemäß: Es sei die Musik der neuen Melancholiker. Allesamt sympathische Kerle, um die 30, die sich keinem Männlichkeitsideal verpflichtet fühlen. Auch Mark Forster nicht, der ebenfalls zu dieser Gilde zählt. Schon optisch wirkt der Singer-Songwriter nicht sehr männlich, wahrlich nicht. Schwarzes Basecap, Bart und Hipsterbrille - Mamas Liebling sieht anders aus. Samu Haber von Sunrise Avenue nennt den Sohn einer polnischen Mutter und eines deutschen Vaters etwas despektierlich „Dr. Snuggles“.

So unscheinbar die Erscheinung des 33-Jährigen, so unglaublich seine Medienpräsenz. Coach bei der erfolgreichen Casting-Show „The Voice Kids“. Mit von der Partie auch bei der diesjährigen Staffel von „Sing meinen Song - Das Tauschkonzert“. Und seit gut zwei Wochen auch im roten Juroren-Sessel bei „The Voice of Germany“ fläzend. Im vergangenen Jahr konnte er drei Singles in den Top Ten platzieren und war nach Justin Bieber der erfolgreichste Musiker hierzulande. Mark Forster ist ohne Zweifel derzeit aus der deutschen Musik- und TV-Szene nicht wegzudenken.

Im Duett mit dem Zeitgeist

Ausverkauft ist denn auch die Stuttgarter Porsche-Arena, als Forster nach orchestralem Intro die große Bühne mit vorgelagertem Laufsteg entert - und sogleich Befürchtungen bestätigt, dass seine Musik nicht unbedingt der Grund sein kann für den Hype, der um ihn gemacht wird. „Sowieso“, „Für immer Forever“ und „Weiter (Right Now)“ sind post-pubertärer Kaugummi-Pop, ziemlich langweilig, ziemlich schlicht. Flächige Synthesizerteppiche, gefällige Beats und ein magengrummelnder Bass kleistern die anfängliche Mischung aus Electro-Schlager, Soul-Pop und Abifahrt-Romantik mit einem fetthaltigen Soundbrei zu. Das ist so zeitgeistig, so am Rande des Kitsches entlang balancierend, so pseudogefühlvoll austauschbar. Zu beliebig sind die Lieder im ersten Drittel des Konzerts, zu abgegriffen die Themen.

Forster singt mit schlichtesten Worten über schlichteste Befindlichkeiten. Social Media-Lyrik meets Emoticons-Blabla. „Was ich brauch bist Du“ („Was Ernstes“) korrespondiert mit „Wir haben alle Zeit der Welt“ („Du und ich“). Alle in der Arena sind „geflasht“ („Flash mich“) und „Wenn ich dich seh’, dann nehm’ ich dich in Arm“, singt er an „Natalie“ adressiert, seine jüngere Schwester. Es graut einem vor solchen wenig kreativen Phrasen-Reimen. Ironie? Fehlanzeige.

Doch plötzlich wischt der Typ aus Winnweiler in Rheinland-Pfalz, hinter dem ein abgebrochenes Jurastudium liegt, alle Bedenken weg, das Gedudel könnte ähnlich verpuffen wie das Chartgesäusel aus dem Einheitsradio, das von morgens bis abends die Gehörgänge malträtiert. Mit „Die beste Nacht“, dem besten Song des Abends, und das nicht nur wegen einer dramatischen „Freeze“-Einlage, setzt er zum Höhenflug an. Die fünfköpfige Band und eine Drei-Mann-Bläser-Crew geben dem Affen Zucker, mischen Soul, Funk, Pop, Indie und Hip-Hop zu einem heißen Gebräu mit satten Anleihen bei Jan Delay, James Brown und Earth, Wind & Fire. Nahtlos geht Forster in „Stimme“ über, unterlegt den Hit ebenfalls mit einem rasanten Beat und schraubt sich und den Song in orgiastische Höhen. Bei „Karton“ kontrastiert er dann geradezu genial seine Jammerlappen-Texte mit einer überbordenden Spaß-Performance. Wie ein quirliger Bühnenflummi misst der Berliner die ganze Bühne ab und offeriert das gesamte Party-Arsenal wie Konfettikanonen, Nebelexplosionen, Flammenwerfer oder ins Publikum gedroschene Gummibälle. Perfektes armschwingendes Zielgruppen-Entertainment ist das, unterlegt von einer ansehnlichen Lightshow und garniert mit witzigen Zwischenmoderationen.

Etwas mehr als zwei Stunden lang präsentiert der Handwerker Forster seine überwiegend traurige Lebenssicht, grinst und winkt und hüpft allerdings dabei und reißt irritierend oft seinen rechten Arm hoch. Es ist ein buntes, abwechslungsreiches und kurzweiliges Füllhorn an Lieblingsliedern aus allen drei bisherigen Alben - vom Debüt „Karton“ (2012) über „Bauch und Kopf“ (2014) bis zum aktuellen, Goldprämierten Werk „Tape“.

Kurzer Durchhänger

Nach einem kurzen Durchhänger, unter anderem mit einem drögen Duett mit der unbekannten Rapperin Amanda („Blau“) und einem sinnleeren vermeintlichen Unplugged-Set auf dem Laufsteg, findet Forster ausgangs wieder in die Spur zurück. Mit „Auf dem Weg“, „Willkommen zurück“, vor allem aber mit „Wir sind groß“, dem EM-Hit von 2016, reüssiert er auf ganzer Linie. „Chöre“, der Soundtrack-Beitrag zur Kinokomödie „Willkommen bei den Hartmanns“ fehlt zum Abschied dann ebenso wenig wie der Titelsong von „Bauch und Kopf“.

Am Ende herrscht bei Forster regelrecht Hymnenzwang. Seine Lieder kommen uptempo daher, wenn auch musikalisch unauffällig. Ein kleines Glück, das reicht ihm schon, er braucht keine konzertante Revolution, auch nicht für die knapp 6000 Fans in der Arena, die wie geflasht jubeln. Seit „The Voice Kids“ hat sich Forsters Zielgruppe noch einmal stark verjüngt. Mit seinem ungemein rhythmischen Mainstream-Pop trifft er auf willfährige, textsichere Teenager und deren Eltern. Ob in Dur oder Moll, ob mal aufgekratzt oder zu Tode betrübt: Forsters Ausstrahlung bleibt stets positiv.

Kurz vor Schluss singt Forster noch seinen Überraschungshit von 2014, „Au Revoir“, eine Zusammenarbeit mit dem Rapper Sido. Die Hymne, die den Übergang zwischen Jugend und Erwachsenenalter thematisiert, steht sinnbildlich für die Zukunft Forsters. Wenn er weiter derartige Songs schreibt, dann ist ein Wiedersehen sehr wahrscheinlich. Falls der Zeitgeist aber weiterreist, dann wird es das Phänomen Mark Forster schwer haben. Wie die Giesingers und Poisels und Oerdings auch.