Von Ingo Weiß

Stuttgart - Dreimal wurden a-ha schon geschieden. 1994 trennte sich das norwegische Trio zum ersten Male. 2010 erklang der zweite Schlussakkord „Ending on a High Note“. Vor zwei Jahren dann, nach der „Cast in Steel“-Tour, gingen die Skandinavier ein drittes Mal getrennte Wege. A-ha: das selbsternannte dreiköpfige Monster, drei völlig unterschiedliche Personen. „Wir drei sind uns einfach nicht mehr nah genug“, sagte Sänger Morten Harket zuletzt.

Aber a-ha-Worte sind manchmal Schall und Rauch. Immer wieder raufen sich Harket, Keyboarder Magne Furuholmen und Gitarrist Paul Waaktaar-Savoy zusammen. Weil sie die Liebe zu a-ha und zu ihrer Musik eint - nicht zueinander. Das jetzige Konzert in der Stuttgarter Schleyerhalle ist der Auftakt ihrer Deutschland-Tournee - und ein völlig neuer Rahmen: ein akustischer Abend. Dahinter steckt, was schon viele Bands gemacht haben: die „MTV unplugged“-Serie fortzuführen. Im vergangenen Jahr haben auch a-ha ihr MTV-Album eingespielt, überhaupt sind sie mit MTV eng verbunden. Das spektakuläre, Real- und Zeichentrickfilm vermengende Video zu ihrem Welthit „Take On Me“ (1985) gehört zur DNA des Musikfernsehens.

Zurück zu den Wurzeln

Die Unplugged-Idee ist natürlich längst abgegriffen. Interessant ist, wie a-ha ihre Songs in der bestuhlten Arena umsetzen. Immerhin liegen die Wurzeln der Band im Akustik-Bereich, die meisten Lieder wurden mit Akustikgitarre und Klavier komponiert. Doch a-ha und ihre siebenköpfige Begleitband hängen ihrem traurig-wehmütigen, skandinavischen Pop nicht einfach ein akustisches Mäntelchen über, sondern zerlegen ihre teils seichten Synthie-Pop-Stücke, ziehen ihnen - metaphorisch gesprochen - das Fleisch von den Knochen, fördern die Ursprungsform wieder zu Tage.

Das Schwierige bei der Besinnung auf die Essenz die Dynamik. Rein akustische Instrumentierung kann rasch statisch und langweilig wirken. Nicht so in Stuttgart. Die aufregenden Arrangements sind sanft-reduziert und orchestral-grandios zugleich: viel Furuholmen-Piano, dazu viele ungewöhnliche Instrumente wie Celesta, Cembalo, Xylophon und Harmonium. Mit diesem Sammelsurium und drei formidablen Streicherinnen schaffen a-ha viele echte Perlen. Ganz besonders bei älteren Stücken wie dem fast jazzig anmutenden „This alone is Love“ und „Living A Boy’s Adventure Tale“. Erst durch die Reduktion erkennt man deren tatsächliche Qualität.

Überhaupt birgt die ungewöhnliche und exquisite, gegenüber dem Album dramaturgisch leicht durchgeschüttelte Setliste Überraschungen. Zwei neue Songs werden serviert, gleich zum Auftakt Furuholmens sehr schöner Opener „This is our home“, später Savoys „A Break in the Clouds“, die sich beide nahtlos in die so kraftvolle wie filigrane Zusammenstellung einfügen. Viel stärker aufhorchen lässt freilich „Sox of the Fox“, die Coverversion einer alten Bridges-Nummer, der frühen Band von Furuholmen und Savoy. Ein Song voller Power. Ein Song mit unzweifelhaften James-Bond-Qualitäten.

Schönheit und Melancholie

Das Hauptaugenmerk der 6000 Fans liegt dennoch auf den Hits wie dem brillanten „Foot of the Mountain“, dem Gänsehaut erzeugenden „Summer moved on“ und dem überragenden „Scoundrel Days“. Alle Lieder klingen zeitgemäß, melodisch und soundtechnisch hervorragend. 105 Minuten lang obsiegt, ohne große Lückenfüller, die pure Schönheit, die berührende Melancholie und die ruhige, stellenweise intime Konzertatmosphäre, die durch eine sehenswerte, vornehmlich schwarz-weiße Lichtshow noch verstärkt wird. Nur manchmal wird die Intimität aufgebrochen: durch ein zu forsches Schlagzeug, einen pumpenden E-Bass (!) oder ein rhythmisch klatschendes Publikum.

Im neuen Klanggewand sind es jedoch andere Songs, die hervorstechen - etwa das betörende „I’ve been losing you“, das 2016 noch hart-metallisch daherkam. Und die Protagonisten selbst? Morten Harket (58) wirkt noch immer wie ein zu groß geratener Bub, der selbstvergessen und verträumt, fast introvertiert mit faszinierender Falsettstimme in engelsgleichen Gesang versinkt. Seine betörende Stimme, die sich bei „Stay on these Roads“ geradezu glamourös entfaltet, ist nahezu makellos. Man spürt förmlich, dass dieser Mann lieber der Stille zuhört als der Lautstärke dieser Welt. Ein Entertainer wird er aber nimmer mehr. Genauso wenig wie der große Schweiger Savoy (56) und Furuholmen (55), der wenigstens ab und an mit dem Publikum zu interagieren versucht, wenn auch auf ein Mindestmaß beschränkt. Das ist ein großer Kritikpunkt eines ansonsten fantastischen Konzerts: dass bis auf „Sox of the Fox“ keine Background-Stories erzählt werden. Obwohl das zu MTV-unplugged-Shows eigentlich dazugehört. Die zwischenzeitliche Wiederannäherung des Trios ist einer Kälte gewichen, die sich wie ein frostiges Winterkleid über norwegische Fjordlandschaften legt, die über die Videoleinwand ziehen.

Mit einem Dreigestirn zeigt die Band am Schluss ihre ganze Größe. Die grandiose Bond-Hymne „The Living Daylights“, „Hunting High And Low“ und ganz besonders das majestätische „The Sun Always Shines On TV“, das emotionalste Stück des Abends, haucht der Arena noch einmal melodramatisches Leben ein.

Krönender Abschluss

Tatsächlich krönender Abschluss und Meisterwerk zugleich ist dann „Take on me“, mit dem a-ha weltweit zu Shooting-Stars wurden. Nur zu viert verwandeln sie den Uptempo-Synthie-Popsong in eine langsam fortschreitende, melancholische, sehnsuchtsvolle Ballade. Derart entkernt und vom typischen Keyboard-Riff befreit legen sie den spirituellen Charakter des Liedes frei. Radikaler als bei allen anderen Stücken, aber in seiner Schlichtheit und Traurigkeit auch am Vollkommensten. „Take on me“ klingt am Ende fast wie ein gesungener Psalm. Es gibt ihn also noch immer, den a-ha-Effekt. Wiewohl das Konzert überhaupt ein musikalisches aha-Erlebnis ist. Eine vierte Scheidung wäre mehr als schade.