Mit Seilen sind die Soldaten auf Ulrich Rasches hydraulisch bewegbarer Drehbühne gesichert. Johannes Nussbaum als Xerxes steht in der Mitte. Foto: APA - APA

Mit seinem Chor- und Maschinentheater macht Ulrich Rasche in der deutschsprachigen Theaterszene von sich reden. Bei den Salzburger Festspielen brachte er Aischylos’ „Die Perser“ auf zwei Drehbühnen, die sich unaufhörlich bewegten.

SalzburgGefangen im Takt der Maschine sind die persischen Soldaten und die Menschen, die ihr Kampf ins Elend gestürzt hat. Für Aischylos’ Kriegsdrama „Die Perser“ auf der Bühne des Salzburger Landestheaters hat der Regisseur Ulrich Rasche zwei riesige Drehbühnen konstruiert. Diese Räder des Schicksals sprengen den engen Guckkasten in seiner schwindelerregenden Regiearbeit, einer Koproduktion der Festspiele mit dem Schauspiel Frankfurt. Akteure und Publikum kommen in der vierstündigen Prozession nicht zur Ruhe.

Die Spielfläche reicht in die Reihen der Zuschauer hinein. Trommelklänge dröhnen in den Ohren. Im Vordergrund stehen drei starke Frauen. Ihre Worte, bedächtig und schön artikuliert, sind ein flammender Appell gegen den Krieg. Katja Bürkle und Vera Tscheplanowa sprechen vom Töten und von den Kämpfen auf hoher See. Als Chor des persischen Ältestenrats berichten sie von der Niederlage gegen die Griechen, die der ungestüme junge Großkönig Xerxes verschuldet hat. Patryzia Ziolkowska verkörpert seine Mutter, die das Scheitern des Sohnes anklagt.

Mit seinem Maschinentheater, umrahmt von minimalistischen Klangkulissen, ist Rasche der Regisseur der Stunde. Dem Stuttgarter Publikum ist der formstrenge Künstler unter anderem durch sein „Kirchenlieder“-Projekt im Jahr 2005 bekannt. Mit dem damaligen Intendanten Hasko Weber verband ihn eine intensive Zusammenarbeit. Inzwischen macht er in der deutschsprachigen Szene Furore. 2018 war sein „Woyzeck“, den er am Theater Basel inszeniert hat, zum Theatertreffen in Berlin eingeladen.

Das vierstündige „Perser“-Projekt fordert das Festspielpublikum heraus. Ari Benjamin Meyers minimalistische Komposition strukturiert den Abend, der die Schauspieler zur rhythmischen Artikulation verführt. Chorisches Sprechen entwickelt Rasche bis ins kleinste Detail. Monoton wiederholen die Musiker die Klangeinheiten, treiben den Sound aber immer wieder auf die Spitze. Mit Perkussion und Elektromusik – von den Musikern live in den Logen interpretiert – rückt die älteste überlieferte Tragödie, die Aischylos 480 vor Christus schrieb, an heutige Zeiterfahrung heran. Sara Schwartz’ Kostüme sind zeitlos schlicht. Die Kämpfer, die im Hintergrund auf einer dreh- und senkbaren Bühne erscheinen, tragen Lederschürzen auf nackten Körpern. Die Frauen sind in schwarze, moderne Designerkleidung gehüllt. Xerxes, der gescheiterte König, trägt einen schwarzen Kampfanzug. Das Muster erinnert an Blutstropfen und an offene Wunden. Das Bild verweist auf die Verbrechen des schwachen, eitlen Mannes.

Rasche hat den Theatermarathon klar strukturiert. Auf dem hinteren Bühnenrad, das sich mittels Hydraulik heben und senken lässt, stehen die Kämpfer. Zunächst sind sie durch einen Gazevorhang von den Frauen getrennt. Dann rückt ihr Leid in den Mittelpunkt. Hautnah holt der Regisseur die Gesichter heran, um ihren Schmerz zu zeigen. Im Chor bringen sie Aischylos’ Sprache zum Klingen. Denn Xerxes hat sie in einen aussichtlosen Kampf gegen die Griechen gejagt, um das Werk seines Vater Daraios zu vollenden. In der Schlacht von Marathon wurden Dareios und seine Kämpfer von den Griechen geschlagen. Nun versuchte Xerxes, ihn in der Schlacht von Salamis zu rächen, die auch verloren ging. Der Dramendichter Aischylos, der selbst gegen die Perser kämpfte, erinnert in dem Stück an seinen Bruder. Der verteidigte Griechenland in der Schlacht von Salamis noch mit abgeschlagenen Händen. Schreckliche, eigene Betroffenheit spricht aus den Botenberichten des antiken Dichters, die Durs Grünbein heute schnörkellos, klar und etwas schroff überarbeitet hat. Wie sehr sein Text als Warnung an heutige Generationen zu verstehen ist, zeigt die Überarbeitung des deutschen Schriftstellers.

Der junge Johannes Nussbaum versteht es, die Schwächen und die Hilflosigkeit seines unglücklichen Königs Xerxes zu zeigen.Unterkühlt und klug porträtiuert Patryzia Ziolkowska seine Mutter, die ihn mit der schrecklichen Wahrheit konfrontiert. Er werde die Größe seines Vaters nie erreichen. Denn ihrem Sohn, der die Jugend des Landes für den sinnlosen Krieg gegen die Griechen geopfert hat, gehe es nur um den eigenen Vorteil. Diese grausame Erkenntnis schleudert ihm auch die temperamentvolle Vera Tscheplanowa, im zweiten Teil in der Rolle des Geistes von Dareios, ins Gesicht. Mit nacktem Oberkörper und weiß getünchten Brüsten steht sie auf der Hinterbühne. Wie Blitze schleudert sie Xerxes seine Fehler ins Gesicht. Die Art, wie sie Worte und Sätze zerfetzt, schockiert. Katja Bürkle verkörpert den persischen Ältestenrat, nimmt sich weise und vorsichtig zurück. Das macht ihre Analyse des sinnlosen Krieges nur umso überzeugender.

Dass Rasches Regie die Spieler keineswegs in ein Korsett zwängt, zeigen die Schauspieler. Vor allem die Hinterbühne verlangt ihnen jedoch einiges an körperlicher Leistung ab. Zwar lenkt die Inszenierung den Fokus weg vom einzelnen Schicksal zum Diskurs über das Sterben der Massen im Krieg. Doch genau das ist es, was den Abend so beklemmend aktuell macht. Wenn die Spieler die Toten beklagen, die im Meer treiben, liegen Assoziationen an die aktuelle Flüchtlingskrise greifbar nah. Darin liegt eine Qualität von Rasches zeitlosem Maschinentheater. Bei den Salzburger Festspielen haben seine „Perser“ zwar zwischendurch erhebliche Längen. Am Ende bringt das Ensemble die Kritik am Schlachten im Namen der Eitelkeit dennoch sehr ehrlich auf den Punkt.

Weitere Termine: 20., 21. sowie 23. bis 27. August im Salzburger Landestheater.