Wolfgang Haffner Foto: Jörg Becker - Jörg Becker

Bunt und kreativ hat sich die Jazzszene beim Oster-Festival im Stuttgarter Theaterhaus präsentiert – allen voran einige deutsche Protagonisten.

StuttgartJeden Tag über 1000 Besucher, das ist ein tolles Kompliment“, sagt Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier. „Wir spielen ja reinen Jazz“, fügt er an, wohl wissend, dass das nicht viele tun. Und er hat diesmal noch mehr als sonst ins Programm der Theaterhaus-Jazztage übe Ostern investiert.

Wer im Haifischbecken der New Yorker Szene bestehen möchte, muss außergewöhnliche Qualität mitbringen – so wie die sieben Musiker des European New York Jazz Collective. Ihr Großstadtjazz in ungewöhnlicher Besetzung vibriert und pulsiert, atmet gelassen, steckt voller Überraschungen und groovt tierisch. Durch stilistischen Reichtum und seltene Reinheit tut sich dabei besonders der Vokalist Theo Bleckmann hervor.

90 Jahre, runder Ton

Zu Herzen geht der Auftritt einer lebenden Legende: Lee Konitz sitzt auf der Bühne wie ein Daddy Cool und spielt auf einem Altsaxofon. Der Ton des 90-Jährigen ist mitnichten brüchig, sondern rund und warm, Gelassenheit und Zärtlichkeit schwingen in ihm mit. Die Spannungsbögen sind natürlich kleiner geworden. Konitz lässt sich vom einfühlsamen Pianisten Florian Weber beflügeln und von einer feinen Rhythmusgruppe unterstützen. Und wenn er nicht spielt, singt er mit kleiner Stimme ohne Mikrofon.

Das Festival bietet eine Bühne vor allem auch für den deutschen Jazz. Die Brüder Julian und Roman Wasserfuhr beweisen starken Sinn für Geschmack mit dem lebendigen Gegenwartsjazz ihres Quintetts. Aus der Stuttgarter Szene zeigt sich Sebastian Schuster mit seinem Südafrika-Projekt. Schlagzeuger Daniel Kartmann, der seit Jahren den Club Kiste bespielt, präsentiert gar einen Überblick über seine Projekte: etwa das avantgardistische Nikotrio mit dem Pianisten Nicolas Schulze oder die Spoken-Word-Gruppe Tuyala um die stimmstarke Sängerin Lisa Tuyala. Einer sticht dabei neben Kartmann heraus: Der wunderbar in den Harmonien aufgehende Holzbläser Ekkehard Rössle.

Eine wundersame Erfahrung bietet Eric Schaefer mit seinem Projekt Kyoto Mon Amour. Der Japan- und Zen-Erkunder bildet mit dem Bassisten John Eckhardt eine strukturiert brodelnde Rhythmusgruppe. Dazu ringt der Klarinettist Kazutoki Umezu seinem Instrument unerhörte Laute ab, die bei der Koto-Spielerin Naoko Kikuchi das liegende Saiteninstrument selbst vorgibt. Unter ihren Finger entfalten die flirrenden Klänge einen hypnotischen Sog. Nils Landgren wiederum lässt es richtig krachen mit seiner Funk Unit. Der Schwede mit der roten Posaune gibt sich als musikalischer Tausendsassa, und der Funk-Funke hat wieder einmal gezündet.

Die Französin Camille Bertault, ein Youtube-Star, zeigt live Varieté- und Chanson-Qualitäten, unterlegt ihren Mitsing-Scat auf Coltranes „Giant Steps“ mit französischem Text – und es ist ein Wunder, dass sich ihre Zunge nicht verknotet bei dem Tempo. Von Energiebündel Zaz ist Bertault aber noch ein Stück entfernt: Ihre Stimme setzt sich nicht immer durch.

Durchs Karge ins Strahlende

Weit fasst den Bogen der Schlagzeuger Wolfgang Haffner mit seinem Sextett. „Kind of Spain“ heißt sein aktuelles Album, auf dem spanische Motive, etwa von Vicente Amigo oder Chic Corea, als Basis für Stücke dienen, die mitunter filmmusikalisch anmuten und das Kopfkino anwerfen. Findig erweckt Haffner Trommeln und Becken zum Leben, er dirigiert den Abend wie ein Uhrwerk, aber eines, das mit Zeit und Raum spielt. Überhaupt zeigt sich der Jazz am Ostersonntag in allen Farben schillernd und auf Pfaden, die mitunter in karges Gelände führen, aber dann in überraschende Klanglandschaften mit strahlenden Harmonien. Bei Heinz Sauer, 85, am Tenorsax und Jasper van’t Hof, 70, an Flügel und Synthesizer trifft raue Schönheit auf oft zu hart perlendes, sich gern hymnisch steigerndes Tastenspiel.

Im Klanguniversum des Altmeisters Karl Berger und seines zwölfköpfigen Improvisers Orchestra dreht sich alles um den kollektiven Sound, in dem Einzelstimmen aufleuchten wie Sternschnuppen. Intuitive Kommunikation, das Wechselspiel von sparsam gesetzten Klangtupfern und komplexen Tutti sind Charakteristika von Bergers multikulturellem Orchester für Kenner.

So viele Facetten des Jazz wie bei diesem Festival gibt es selten zu hören. Das Publikum weiß es zu honorieren.