Von Martin Mezger

Stuttgart - Schon wahr, da liegen „das Erhabene und das Lächerliche nahe beieinander“, wie Sigfried Schibli im Programmheft schreibt: Zwei Mal hebt im gigantischen Finale von Gustav Mahlers sechster Sinfonie ein Schlagzeuger den Hammer zum Schlag, der laut Komponist wie ein „mächtiger Axthieb nicht metallischen Charakters“ klingen soll. Wie das zu realisieren sei, hat Mahler nicht notiert. Und so gleicht die Aufführungspraxis einer Art sinfonischem Heimwerkertum - meist mit Holzkisten, die unter kraftvoller Hammerklangerzeugung schon mal zu Bruch gegangen sein sollen. Beim Dirigenten David Zinman und dem SWR Symphonieorchester im Stuttgarter Beethovensaal hat’s gehalten.

Vielleicht ist ja gerade das Tragikomische des Effekts die geheime Wahrheit dieser glutschmelzenden Musik, die zwar in bukolischen Gegenwelten samt Kuhglocken-Gebimmel Entrückung sucht, doch eingeholt wird von der unerbittlichen Getriebenheit immer gewaltigerer Klang-Aufmärsche, vom 80-jährigen Zinman hochdruckerhitzt, als wollten sie explodieren. Und können es doch nur im berstenden Lärm der Grenzüberschreitung zur puren Brutalität des Hammerschlags. Was ihm Lächerliches anhaftet, radikalisiert noch das Tragische dieser von der Nachwelt so titulierten, 1906 uraufgeführten a-Moll-Sinfonie: kein heroischer Untergang mehr, nur schmähliche Vernichtung. Unter solchen Klangvorzeichen steht, was dem Werk als prophetische Intuition zugeschrieben wurde: das vorausgeahnte Verrecken auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs oder gar, so Kafka-Freund Max Brod, in den Konzentrationslagern.

Zinmans Interpretation mit den mittlerweile sehr homogenen SWR-Symphonikern - von wenigen Bläser-Fehlschüssen im Finale abgesehen - folgt in der Tat Mahlers langem Marsch durch die Intuitionen. Und zwar im Wortsinn. Der marschierende Gleichschritt, mit dem die Sinfonie brüsk einsetzt, wird mit markiger Prägnanz durch den Kopfsatz gezogen, und was ihm widersteht kontrastdramaturgisch ausgelotet: verhalten der Holzbläserchoral in der Überleitung zum Seitenthema, dieses selbst in aller Fülle blühend und doch in jenes metallische Knattern und Klingeln mündend, das Zinman redlich akzentuiert, ohne es der Vulgarität zu opfern. Wie bewusst der Dirigent Klangprozesse registriert, zeigt sich auch bei der wie traumatisiert klingenden Wiederkehr des Seitenthemas in der Reprise.

Jene Traumlande und irdischen Paradiese wiederum, die sich namentlich im Andante moderato wie Inseln der Erinnerungsseligen und gleichzeitig der Utopie den marschierenden Klangströmen entwinden, werden von Zinman fein getönt, farbecht belichtet - und in ihrer Fragilität realisiert. Im Scherzo, getreu Mahlers Vorschrift wahrhaft wuchtig gespielt, geht denn auch der Traum in einen Alptraum über, wo selbst der Dreiertakt marschiert, „altväterisches“ Tuten und Blasen xylophonklappernden Grotesk- und Gespenstertänzen weicht.

Bis zum letzten Vernichtungsschlag im Finale gelingt Zinman eine organische Balance von Einzelmomenten und sinfonisch-dramatischer Architektur. In den wenigen Passagen, wo der Klang sämig zu werden drohte, hätte freilich eine etwas flüssigere Gangart die Konturenschärfe gesichert.