Der Film „Sacred Water“ setzt sich für den Erhalt der natürlichen Wasserwege ein. Foto: Veranstalter Quelle: Unbekannt

Von Sabine Fischer

Stuttgart - Endlich tanzen sie wieder, die Männer der Winnemem Wintu. Mit prächtigen Federn geschmückt wiegen sie sich am Ufer eines Flusses rhythmisch hin und her, den Blick irgendwo ins Nichts gerichtet, die Bewegungen ausschweifend. Es ist ein jahrhundertealtes Ritual, das die Mitglieder des nordamerikanischen Indianerstammes hier abhalten. Ein Ritual, das sie heute, gefangen zwischen Modernisierung und Tradition, jedoch weit weg von Zuhause zelebrieren müssen. Denn im heimischen Kalifornien sind ihre Tänze illegal.

Chief Caleen Sisk, die spirituelle Führerin der Winnemem Wintu, schaut mit ruhigem Blick über die Holzstühle im Tagungsraum des Lindenmuseums, während die Bilder über die Leinwand flackern. Sie ist der erste weibliche Häuptling, den Gunter Lange und Sonja Schierle, die Initiatoren des Indianer-Inuit-Festivals, nach Stuttgart holen konnten - und sie kommt mit einem Anliegen, das dem diesjährigen Festivalmotto, „Uprise: Earth and Water“, mehr als gerecht wird: Zuhause in Kalifornien setzt sich Sisk nämlich für Naturschutz, Wasserrechte und den Erhalt ihrer Kultur ein. Dabei nimmt sie es mit scheinbar übermächtigen Widersachern auf.

Kampf gegen das US-Regime

Der Film „Dancing Salmon Home“, der heute Abend im Treffpunkt Rotebühl seine Deutschlandpremiere feiert, dokumentiert den Kampf der Winnemem Wintu gegen das US-Regime. Die rund 120 Stammesmitglieder, die heute noch in ihrem nordkalifornischen Reservoir nahe des McCloud Rivers leben, schweben trotz ihrer Bemühungen nämlich stets im Schatten der Illegalität. „Wir sind von der US-Administration nicht anerkannt und werden auf keiner offiziellen Liste geführt. Das bedeutet, dass wir uns zum Beispiel nicht für Fördergelder bewerben können, um unsere Sprache vor dem Aussterben zu retten. Außerdem machen wir uns offiziell strafbar, wenn wir traditionelle Tänze und Rituale aufführen“, schildert Caleen Sisk die prekäre Situation.

Es ist das nagende Gefühl der vergessenen Wiedergutmachung, das viele der indigenen Völker in den USA und Kanada umtreibt. Rechtlich oft massiv benachteiligt, versuchen sie, ihre Lebenswelten gegen den amerikanischen Kapitalismus durchzusetzen, mal als politische Protestaktion, mal als engagiertes Kunstprojekt.

Die diesjährige Auflage des Stuttgarter Festivals, das nach Schierle vor allem Begegnungsstätte, Bildungs- und Kulturveranstaltung sein will, greift die aktuellen Problemfelder bewusst auf. Erzählen will man sie aus der Sichtweise der Betroffenen selbst - rund 60 Filme und Musikvideos, die von indigenen Künstlern produziert wurden, laufen während der Festivaltage. Begleitet werden sie von verschiedenen Gästen, die live aus ihrer Lebenswirklichkeit erzählen. „Viele der sozialen Probleme der letzten 30 Jahre haben sich für Indianer und Inuit heute zugespitzt, und darauf muss man aufmerksam machen“, meint auch Michael Smith, Begründer des American Indian Film Festivals in San Francisco.

Chief Caleen Sisk nickt. Um auf das Straucheln der First Nations aufmerksam zu machen, greift auch sie zu - aus ihrer Perspektive - ungewöhnlichen Mitteln: Bei ihrem Einsatz für die Erhaltung natürlicher Wasserwege ließ sie sich von Filmemacher Will Doolittle begleiten. Unermüdlich kämpft sie um die Rekultivierung der kalifornischen Königslachse, die durch den Bau der Shasta-Talsperre den Weg zu ihren Laichplätzen im McCloud River nicht mehr antreten können und so für die Winnemem Wintu verloren scheinen. Doolittle und seine Kamera ins Zentrum der Stammeskultur zu lassen, sei dabei für alle Beteiligten eine Überwindung gewesen, erinnert sich Sisk. Dennoch sei es der richtige Weg: „Wir sehen den Film als Waffe - als unsere einzige Waffe gegen das US-System.“

Das Ergebnis dieser künstlerischen Aufrüstung ist die Dokumentation einer Wirklichkeit, die sich mit aller Macht gegen ihr Verschwinden wehrt. Damit ist Sisk geradezu ein Paradebeispiel der indigenen Gegenwart, die auf dem Festival viele Gesichter bekommt. Die Sängerin Raye Zaragoza aus Los Angeles zum Beispiel erzählt in ihren Songs eindrücklich von ihrer Herkunft und stemmte sich in den letzten Jahren mit Benefizkonzerten vehement gegen den Bau der umstrittenen Dakota Access Pipeline, die quer durch heilige Stätten der First Nations führen soll. Der Dokumentarfilm „Defend the Sacred“ beschäftigt sich ebenfalls mit der Widerstandsbewegung, bei der teils brutale Zusammenstöße zwischen indigenen Protestbewegungen und der US-amerikanischen Polizei Schlagzeilen machten.

Filmemacherinnen wie Tara Audibert, die seit 20 Jahren als Animateurin, Illustratorin und Regisseurin tätig ist, wählen hingegen einen breiteren Ansatz, um auf die Probleme der indigenen Bevölkerung aufmerksam zu machen. In ihrem Kinderfilm „Importance of Dreaming“ diskutiert sie die Vorbehalte zwischen Indianern und US-Amerikanern als Fabel: ein erzieherischer Ansatz, der grundlegende Konflikte deutlich machen soll. „Wenn ich etwas so weit herunterbrechen kann, dass Kinder es verstehen, sehe ich erst, wo das wirkliche Problem liegt“, erklärt Audibert.

Kultur am seidenen Faden

In der Bandbreite dieser Protestaktionen sieht auch Caleen Sisk die größte Entwicklung der letzten Jahre: „Ich habe das Gefühl, dass indigene Völker langsam lernen, ihre Standpunkte nach außen zu vertreten“, sagt sie und rückt ihren Halsschmuck zurecht. „Das könnte eine Kultur retten, die gerade am seidenen Faden hängt. Wir müssen das hinkriegen - damit unsere Kinder endlich wieder legal tanzen können.“

Nordamerika-festival

Programm: „Indianer, Inuit: Das Nordamerika-Filmfestival“ gibt vom 18. bis zum 21. Januar im Stuttgarter Treffpunkt Rotebühl Einblicke in die Welten indigener Bevölkerungsgruppen. Insgesamt werden 63 Filme und Musikvideos präsentiert. Einblicke in den Zeitgeist einer jungen Generation indigener Künstler gibt der Film „When they awake“, der am 21. Januar in der Matinee läuft. Die packende Musikdoku „Rumble: The Indians who rock the World“ ist am kommenden Sonntag zum Abschluss des Festivals zu sehen. Eröffnung: Am morgigen Freitag um 20 Uhr wird der Dokumentarfilm „Dancing Salmon Home“ gezeigt, und Chief Caleen Sisk wird mit dem „Festival Award For Water And Environment Protection“ geehrt.

Konzert: Am 19. Januar sind im Club Zentral „Songs for our Future“ mit Raye Zaragoza und Kholan Studi zu hören.

Informationen:Tel. 0711/187 800 und www. nordamerika-filmfestial.com