Quelle: Unbekannt

Am Samstag ist die letzte Saison von Thomas Wördehoff bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen zu Ende gegangen. Der Intendant hat aus dem Festival ein eigenwilliges musikalisches Spielzimmer gemacht.

LudwigsburgVielleicht war es nur Zufall, aber das Bild sprach für sich: Als Thomas Wördehoff vor zehneinhalb Jahren sein erstes Ludwigsburger Festspielprogramm vorstellte, standen die Stühle im Palais Graevenitz anders als zuvor. Mehr Platz für Künstler sollte neben dem neuen Intendanten sein. Schließlich hatte dieser für 2010 ein „Fest der Interpreten“ angekündigt und dies tatsächlich eingelöst – allerdings nicht mit jenen, die zuvor in Ludwigsburg aufgetreten waren. Neue Gesichter und eine neue Programmatik sollte es geben, neues Leben sollte in das alte Schloss fahren, und erfunden werden sollte ein Festival mit der Strahlkraft des Außergewöhnlichen, aber auch mit guter regionaler Verankerung. Mit den Nachwehen der langen Ära Wolfgang Gönnenweins in Ludwigsburg (1972-2004) sollte endgültig Schluss sein.

Vom Aufsichtsrat des Festivals war der langjährige Chefdramaturg der Ruhrtriennale, der zuvor als Kulturredakteur der Zürcher „Weltwoche“ auch journalistisch gearbeitet hatte, also zum Nachfolger Wulf Konolds berufen worden, um etwas ganz anders zu machen. Die Tatsache, dass das Gremium selbst nicht recht wusste, was dieses andere eigentlich genau sein sollte, machte nicht nur den Beginn der Ära Wördehoff zum Kamikaze-Unternehmen. Hinzu kam zweierlei: erstens die Verfügung des Aufsichtsrats, dass es weiterhin ein Festspielorchester geben sollte – ohne dass er allerdings dessen Funktion, Ausrichtung und Kosten präzise bedacht hätte; und zweitens der Umgang mit der Position des Chefdirigenten. Sie erschien dem Gremium zunächst nachrangig, obwohl sich der damals amtierende Michael Hofstetter und der neue Intendant von Anfang an nicht riechen konnten.

In dieser in vieler Hinsicht orientierungs- und ratlosen, außerdem reichlich intrigengesättigten Situation träumte man in Ludwigsburg von einem Festival, dem eine Versöhnung von Provinz und Welt, von regionaler Verwurzelung und internationaler Strahlkraft gelänge. Thomas Wördehoff selbst drehte die Stühle im Palais Graevenitz um neunzig Grad und änderte in seiner Programmplanung die Perspektive. Mit Einschränkungen, schließlich musste er sich noch zwei Jahre lang irgendwie mit seinem Chefdirigenten arrangieren, dessen auslaufender Vertrag der Aufsichtsrat ohne Not und wirkliche Argumente um zwei Jahre verlängert hatte. Und es kostete Zeit und Energie, nicht nur die Politik und die Sponsoren, sondern auch das Publikum von Segen und Notwendigkeit einer neuen Festspielidee zu überzeugen.

Das dauerte, aber es gelang. Geholfen hat anfangs noch Uwe Schmitz-Gielsdorf, der neben Wördehoff in der Zwitterposition eines künstlerischen Geschäftsführers agierte – die Tatsache, dass er dem Intendanten auch physiognomisch ähnelte, beförderte den Eindruck eines einträchtigen Zwillingsduos. Seit 2014 macht es Thomas Wördehoff alleine, seit 2015 bei den Orchesterprogrammen unterstützt von seinem neuen, loyalen Chefdirigenten Pietari Inkinen. Und irgendwie ist auch dies passend, denn er ist einer jener Programmmacher, die mit ihren Veranstaltungen zuallererst einmal sich selbst entflammen müssen.

Zugegeben, ein bisschen eitel und egozentrisch ist der heute 66-Jährige durchaus. Das macht aber nichts. Im Gegenteil: Wördehoffs Programme überzeugen tatsächlich deshalb, weil er selbst von ihnen überzeugt ist. Seine Idee, aus der Kombination ganz unterschiedlicher Werke, Kunstformen und Genres, im Wördehoff-Idealfalle vor allem von Volksmusik und Klassik, frische Impulse zu gewinnen, hat ihn in Ludwigsburg zehn Jahre lang begeistert – der Rest ergab sich von alleine.

„Das interessiert mich unglaublich!“, war einer von Wördehoffs Lieblingssätzen, mit großer Offenheit hat er Impulse aufgenommen und weitergegeben, hat die Sinnhaftigkeit von Kunst durch die Konstruktion spannender Kontexte zu erklären versucht, und es hatte immer etwas Unwiderstehliches, wenn er neben einem stand und zu schwärmen begann.

Die Tiroler Musikbanda Franui, die wie kaum eine andere Künstlertruppe die Wurzeln klassischer Werke ausgräbt, hat er so zu einer Art Residenz-Ensemble des Festivals gemacht. Mit neuen Vermittlungsformen hat er experimentiert, weil er davon überzeugt war, dass Neue Musik lediglich durch Barrieren in den Köpfen der Zuhörer zu etwas Abschreckendem gemacht wird.

Thomas Wördehoff hat lernen müssen, die Sprache der Festivalregion zu sprechen. Und die Menschen in Ludwigsburg haben lernen müssen, sich auf das Unbekannte einzulassen. Jetzt läuft der Laden, und der Intendant geht. Er übergibt seinem Nachfolger Jochen Sandig nicht nur (trotz gravierender struktureller Unterfinanzierung!) einen soliden Etat, sondern ein Publikum, das er zur Neugier erzogen hat. Wenig ist das gerade nicht.