Dunkles Mysterium: John-Cranko-Schüler in Foto: Stuttgarter Ballett - Stuttgarter Ballett

Zwischen Tradition und Neugier auf die Moderne: Die John-Cranko-Schule tritt im Stuttgarter Opernhaus auf.

StuttgartAn Uwe Scholz, den einstigen Hauschoreografen des Stuttgarter Balletts, erinnert die John-Cranko-Schule im Opernhaus mit einem der allerersten Stücke, das der blutjunge Künstler damals für die Kompanie geschaffen hatte. 60 Jahre alt wäre er im Dezember geworden, 2004 ist er viel zu jung gestorben.

Sein „Air!“ zur dritten Orchestersuite von Johann Sebastian Bach schuf Scholz mit 23 Jahren und zelebrierte die reine Klassik – ein elegisches Sich-Schmiegen und ein fröhliches Durch-die-Reihen-Fliegen für sechs Paare, derart strukturiert und klar auf die Musik gesetzt, wie man heute gar nicht mehr choreografiert. Aber Scholz war eben nicht George Balanchine, denn freche kleine Einwürfe umspielen die hehre Ordnung, kitzeln wie ironische Pointen oder eben wie das vorwitzige Ausrufezeichen des Titels, das man im Programmheft vergessen hat. Was für eine schöne Hommage, wie so viele Stücke dieses Schulprogramms für erfahrene Tänzer gemacht und doch von den Schülern leicht und mühelos dargeboten.

Melancholischer Blick zurück

Dass sie nicht nur technisch die schwierigsten Sachen drauf haben, sondern eben auch all das Andere, das was eigentlich noch wichtiger ist, zeigten sie in zwei kurzen Balanchine-Werken. Im „Sylvia Pas de deux“ zur herrlichen Musik von Léo Delibes stand Aina Oki minutenlang fröhlich auf einer Spitze, auch der „Glinka Pas de trois“ war leicht und fein einstudiert, mit Augenmerk auf die Arme, die Phrasierung, die Details. Wie ein melancholischer Blick zurück zog Stephen Shropshires „Lamento della Ninfa“ eine Bahn über die dunkle Bühne, als dichtes, verschlungenes Trio, durch dessen ausgeklügelte Hebungen die beiden Herren Henrik Erikson und Alexander Smith ihre sehnsuchtsvolle Dame Wiktoria Byczkowska sanft gleiten ließen.

Mit Bowlerhüten und schwarzen Anzügen ist „Alrededor no hay nada“ ein Ausschnitt aus einem der Abendfüller des Nürnberger Ballettdirektors Goyo Montero. Den elastischen, tief in die Bewegungen hineinfedernden Stil der Moderne tanzt die Cranko-Schule mit dunklen Mysterium. Mit Marco Goeckes rasantem „A Spell on you“ haben die Schüler gerade eine ansonsten rein klassisch bestückte Gala der ehrwürdigen Waganowa-Akademie in Moskau gerockt und wurden im heiligen Land des Balletts heftig bejubelt. Genau wie hierzulande wollen Ballettschüler natürlich das Erlernte zeigen, die schwierigen Grundlagen ihrer Kunst, aber auch in Russland sind die jungen Menschen gierig auf Neues und die Arbeit mit modernen Choreografen. In Stuttgart weiß Schuldirektor Tadeusz Matacz die Balance zwischen dem unbedingten Hochhalten der Tradition und einer Offenheit für die Moderne seit Jahren perfekt auszubalancieren – den Beweis lieferten noch am gleichen Abend seine Absolventen Adrian Oldenburger und Timoor Afshar, die nach kaum zwei Jahren im Stuttgarter Ballett Hauptrollen in „Lulu“ tanzen.

Auch von den diesjährigen Absolventen kommen vier in die Kompanie, andere gehen nach Wien, Zürich, Tokio oder Chicago, der nächste Jahrgang verspricht noch spannender zu werden. Fast das gesamte Programm der Aufführung ist noch einmal bei der großen Gala der Cranko-Schule für den scheidenden Intendanten Reid Anderson am 21. Juli zu sehen, dann gibt es auch die „Etüden“, das Signaturstück der Schule, in glorioser Gänze. Die Gala wird ebenso wie die große Abschiedsgala der Kompanie am 22. Juli als Ballett im Park kostenlos auf die Wiese vor dem Opernhaus übertragen. Ein Besuch sei all denen als Herz gelegt, die an Talent, Ehrgeiz, Fleiß oder auch Sensibilität der Generation U18 zweifeln.

Informationen zum Ballett im Park unter www.stuttgarter-ballett.de, zum Programm der Gala für Reid Anderson unter www.john-cranko-schule.de