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Neue Werke und alte Megahits: Zweieinviertel Stunden lang spielte Bryan Adams in der Stuttgarter Schleyer-Halle. EZ-Autor Ingo Weiß urteilt: makellos kratzig.

StuttgartViereinhalb Jahre liegen zwischen seinem letzten Auftritt in Stuttgart im Dezember 2014 und seinem neuerlichen in der Schleyer-Halle. Aber es scheint, also wären die Jahre nicht nur stehengeblieben, sondern als wäre die Zeit zurückgedreht. Bryan Adams wirkt jünger, frischer, rockiger als zuvor, ein ähnlich betörendes Konzert hat man von ihm in der Landeshauptstadt zuletzt Anfang der Jahrtausendwende gesehen.

Seine Strahlkraft ist ungebrochen – seit mehr als drei Jahrzehnten. Für viele bleibt der kanadische Working-Class-Rocker ja noch immer der Künstler der 80er und frühen 90er-Jahre. Es waren seine Hoch-Zeiten und sein berühmtes Album „Reckless“ von 1984, Adams war gerade mal 24 Jahre alt, ist bis heute ein Meisterwerk. Es war eine Rock-Explosion – und es war Adams musikalischer Durchbruch. Mittlerweile ist der in Kingston, Ontario geborene Sänger 59, schlanker denn je, das blonde Kurzhaar ist einem leichten grau gewichen. Und ganz in schwarz gekleidet und so zurückhaltend wirkt er wie Otto Normalverbraucher, der wie im Video zu „Can’t Stop This Thing We Started“ zu sehen, noch immer durch ein Kaufhaus stapfen kann – und kaum jemand erkennt ihn.

Musikalisch erkennt man ihn dafür sofort. Adams ist einzigartig. Keiner pumpt so energiegeladen Rock wie er, keiner schmeichelt so mit Herz-Schmerz-Balladen wie dem Robin Hood-Welthit „(Everything I Do) I Do It for You“. Die Auswahl seiner Songs ist ausgezeichnet, unerschrocken mischt er Altes mit Neuem. Und er weiß noch immer, wie man eine Menschenmenge fasziniert: mit zuverlässigem, rauem Handwerk, das sich in seinen Händen zu Kunstvollem verformt.

Der Sound ist mächtig, die Gitarren ungemein fett. Die schwach beleuchtete Bühne ist minimalistisch, dafür der riesige Videohintergrund maximalistisch. Aus dem Dunkel heraus startet er mit „Ultimate Love“, später bei der herzerwärmenden Ballade „Heaven“ fliegt Astronaut Adams im Weltraum über die beleuchtete Erde und bei der Rockabilly-Anleihe „You Belong to Me“ werden Bilder von freudig strahlenden, tanzenden und singenden Fans auf die Leinwand projiziert.

„Summer of ’69“ ist natürlich der am meisten erwartete Song. Die ganze Arena singt lauthals mit zu diesem Lied, das nicht wirklich vom Sommer 1969 handelt, sondern von einer jungen Liebe und einem sehr heißen Sommer. Gleichwohl verwandeln Alt wie Jung diesen Moment zu einer fast Springsteenschen Zusammengehörigkeit. Nur mit einem Backkatalog à la Adams kann man es sich erlauben, diesen Smashhit bereits frühzeitig abzufeuern. Das gilt auch für „Run to You“, das Adams bereits an dritter Stelle zelebriert. Den Rockklassiker, der von einem Ehebruch handelt, untermalt er mit einem Schwarzweiß-Video, das sich ausschließlich auf die Beine einer davoneilenden Frau konzentriert. Adams hat sich mittlerweile bekanntlich ein zweites Standbein als Fotograf aufgebaut.

Zwischen „Run to You“ und „69“ und danach schiebt er immer wieder sogenannte Banger ein. Songs wie „Cuts Like a Knife“ oder „18 ’til I Die“. Dieser hemdsärmelige und völlig geerdete Rock wirkt nicht antiquiert, sondern beweist vielmehr, welche opulente Kraft Songs auch ohne elektronischen und showtechnischen Firlefanz ausstrahlen können. Adams liefert sich dazu gewaltige Gitarrenduelle mit seinem außergewöhnlichen Leadgitarristen Keith Scott („It’s Only Love“). Seit ihrem 16. Lebensjahr sind die beiden Kumpel Brüder im Geiste. Gleiches gilt für Drummer Mickey Curry, der seit 1983 mit Adams tourt. Wie junge Welpen wirken sie alle, die herumtollen und Spaß haben. Keyboarder Gary Breit und Bassist Norm Fisher mit eingeschlossen.

Selbstverständlich spielt Adams auch viele Balladen. Herausragend dabei „Here I Am“, das durch Breit am Flügel auf ein völlig neues Niveau gehoben wird. „Part Friday Night, Part Sunday Morning“ wiederum verwandelt Adams mit Westerngitarre und Mundharmonika in eine brillante Country-Version. Vor allem bei solchen Liedern kommt Adams raue, noch immer makellos kratzige Stimme, die kein Anzeichen von Schwäche zeigt, erst richtig zur Geltung. Adams zeigt sich zudem in Humor- und Erzähllaune. So locker und entspannt zeigte sich der Kanadier schon lange nicht mehr. Zweieinviertel Stunden lang begeistert er mit seiner immensen Hit-Parade und direkt in die Herzen zielenden Ohrwürmer. Nur wenige Künstler verknüpfen die Kraftmeierei von Stadionrock-Songs mit der intimen Atmosphäre einer Besenwirtschaft so perfekt wie Adams. Selbst der Titelsong seines neuen, vierzehnten Albums, „Shine a Light“, an dem Ed Sheeran mitgeschrieben hat, reiht sich nahtlos ein.

Auch wenn Adams mit diesem Album, wie überhaupt mit seinen jüngsten Werken, nicht mehr an die Chart-Erfolge vergangener Tage anknüpfen kann, live ist er noch immer granatenmäßig gut, egal ob mit E-Gitarre oder Akustikgitarre. Und so schließt er das herausragende Konzert denn auch: Zuerst rockig und laut mit „I Fought the Law“ von The Crickets, das aber erst durch die Punk-Version von The Clash Berühmtheit erlangte. Und danach solo und leise unter anderem mit dem irischen Traditional „Whiskey in the Jar“, das dank Thin Lizzy reüssierte sowie der Musketier-Hymne „All For Love“. Es braucht nichts anderes als Adams Stimme und eine Akustikgitarre, um 6500 Fans zu fesseln. Einer für alle – und alle für einen. Geradezu innig verabschieden sie Adams, der mit einigen der besten Tage ihres Lebens in Verbindung steht. Und der noch immer die gleiche Begeisterung auslöst wie damals, im Sommer 1984, als „Reckless“ erschien.