„Dionysos Stadt“ von Christopher Rüping an den Münchner Kammerspielen. Foto: Julian Baumann - Julian Baumann

Bilderstarkes Regietheater dominierte den Auftakt des Theatertreffens, das vom 4. bis 20. Mai in Berlin stattfindet. Die eingeladenen Arbeiten von Christopher Rüping und Simon Stone zeigen jedoch zugleich, dass starke Schauspielkunst ebenso gefragt ist.

BerlinAuf Spurensuche in der griechischen Mythologie begibt sich Regisseur Christopher Rüping in dem Antikenprojekt „Dionysos Stadt“. Als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen im deutschen Sprechtheater war der Zehn-Stunden-Marathon zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Im Haus der Festspiele erlebte das Publikum ein Happening. Wenn die Bühnenampel auf Grün schaltete, durften Zuschauer auf die Bühne kommen und rauchen. Grenzen des Sprechtheaters zertrümmert Rüping radikal. Dabei setzt der Starregisseur, der bereits zum zweiten Mal beim Theatertreffen dabei ist, nicht nur die „Orestie“ als Soap-Opera auf der Videoleinwand in Szene. In seiner Inszenierung für die Münchner Kammerspiele erforscht er auch die tragische Fallhöhe des französischen Fußballgotts Zinedine Zidane. „Was hat das mit Dionysos zu tun?“, fragt er im Programmheft provokant. Den Text von Jean-Philippe Toussaint über den Abschied der Sportlegende muss jeder Zuschauer selbst einordnen. Die Poesie ging unter die Haut.

Das aufregende und innovative Projekt, die antiken Stoffe gerade einem jungen Publikum neu zu erschließen, versandet indes immer wieder im Bühnenspektakel. In Jonathan Mertz‘ Bühne mit Metallgerüsten und fliegenden Menschen dominieren starke Theaterbilder. Auf den Leinwänden darf Susanne Steinmassl ihre Videokunst entfalten, die bisweilen über das Ziel hinausschießt. Jonas Holles und Matze Pröllochs‘ Musik ist mitreißend, peitscht die Dynamik jedoch nicht immer überzeugend voran. Wenn Schlagzeuger und Performer Pröllochs dann auch noch als Gott Apollon von der Bühne schwebt, entlockt das dem Publikum fasziniertes Raunen. Das alles verkäme zum Kunsthandwerk, wenn Rüping in „Dionysos Stadt“ nicht auf die herausragenden Spieler des Münchner Ensembles bauen dürfte. Nils Kahnwald ist ein grandioser Performer. Wenn er auf der Bühne steht und das Publikum auf zehn Stunden Theater vorbereitet, ist das mehr als Geplänkel. Klug bewegt er sich vom leichten Geplauder hin zu einem philosophischen Diskurs über Fragen der nackten Existenz.

Tänzer zwischen Theaterwelten

Dass Rüpings Konzepttheater einer besonderen Schauspielkunst bedarf, zeigen die großen Einzelleistungen: Tiefe offenbart Maja Beckmann nicht nur als Io, die Königstochter, die der Himmelsherrscher Zeus in eine Kuh verwandelt hat. Als Klytaimnestra, die Königin von Mykene, gelingt ihr selbst in der schrillen Antiken-Soap ein grandioser Seiltanz zwischen intriganter Kälte und Sprachwitz. Da steht ihr Jochen Noch als Betroffener König Agamemnon in nichts nach. Performatives Spiel überwindet der Charakterschauspieler mit den tragischen Facetten, die er seinem gefallenen Helden einhaucht. Mit seinem schelmischen Lächeln ist er ein Tänzer zwischen Theaterwelten.

Wie weit auch in Zeiten des ästhetischen Umbruchs große Schauspielerinnen und Schauspieler die Theaterkunst voranbringen, zeigt der schweizerisch-australische Regiestar Simon Stone – auch er bereits mehrfach von der Jury aus Fachjournalisten zum Theatertreffen eingeladen. Mit seinen Überschreibungen großer Dramenliteratur setzt der Hausregisseur des Theaters Basel seit Jahren Maßstäbe. In „Hotel Strindberg“, einer Koproduktion des Burgtheaters Wien mit dem Haus in Basel, liest er Motive aus den großen Dramen des Schweden aus heutiger Sicht neu. Dazu versammelt er Menschen in einem Hotel, die um nichts weniger als ein würdiges Leben ringen.

Mit ihrem Bühnenbau aus Plexiglas hat Alice Babidge einen verstörenden Raum geschaffen. Da schauen die Zuschauerinnen und Zuschauer auf die menschlichen Schicksale, die das durchweg überzeugende Ensemble aus Basel und Wien entfaltet. Diese Simultanbühne, wie man sie von Stones früheren Arbeiten kennt, raubt den Spielerinnen und Spielern ihre Intimsphäre. Wie Voyeure folgen die Zuschauer dem Ehekrieg, den die Theater- und Fernsehstars Caroline Peters und Martin Wuttke zelebrieren. Erfrorene Gefühle zeigen die beiden ebenso schön wie das Sterben ihrer gemeinsamen Sprache.

Wenngleich die Bezüge zu Strindberg und sprachliche Qualitäten des Textes in der Produktion zu oft in den Hintergrund treten, überzeugt die großartige Leistung des gesamten Schauspielensembles aus Basel und aus Wien. Stones Theater der Seelenbilder offenbart trotz mancher Oberflächlichkeiten große Tragödien, die sich zwischen Minibar und Hoteltreppe abspielen.

Zu den bilderstarken Regiehandschiften wie jenen von Rüping und Stone zählt auch die von Thom Luz, der mit „Girl From The Fog Machine Factory“ eingeladen war. Auch der zweite Basler Hausregisseur, kürzlich mit dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichnet, war bereits früher beim Berliner Theatertreffen dabei. Das meditative Spektakel im Nebel ließ manche Zuschauer auf einer Hinterbühne des Hauses der Berliner Festspiele allerdings ebenso eingenebelt wie ratlos zurück. Das Gesamtkunstwerk mit der Musik von Mathias Weibel, die einen fremden Kosmos öffnet, macht die seichte Geschichte einer angetäuschten Liebesgeschichte im Fabrikalltag auch nicht schlüssiger. Die Koproduktion des Theaters Gessnerallee in Zürich mit den Münchner Kammerspielen und der Kulturfabrik Kampnagel ist eine Koproduktion zwischen Stadttheater und freier Szene.

Um beim Theatertreffen künftig mehr Regisseurinnen zum Zug kommen zu lassen, führt die Leiterin Yvonne Büdenhölzer ab der nächsten Auflage eine Frauenquote ein. 2019 ist unter anderem die Karlsruher Schauspielchefin Anna Bergmann mit ihrer Produktion „Persona“ dabei, die das Deutsche Theater Berlin mit dem Stadtstheater im schwedischen Malmö realisiert hat. Am Wochenende findet im Rahmen des Theatertreffens in Berlin die Frauenkonferenz „Burning Issues“ statt. Da tauschen sich Theatermacherinnen über neue Perspektiven aus.