Kristin Göpfert Foto: und mimt die eine oder andere Mä - und mimt die eine oder andere Männerfigur.

Jung, Journalistin, erfolgreich – und dann ein Kinderwunsch. Schon die Schwangerschaft wirbelt die Selbst- und Außenwahrnehmung der werdenden Mutter gehörig durcheinander. Die Regisseurin Mirjam Neidhart hat Antonia Baums Reflexions- und Zeitroman „Stillleben“ dramatisiert und als szenische Uraufführung an der Esslinger Landesbühne inszeniert.

EsslingenSie ist mindestens so erfolgreich wie ihre männlichen Kollegen, die junge und renommierte Journalistin bei großen Zeitungen in großen Städten. Doch dann hat sie einen Wunsch, der nicht so richtig in die Karriere und auch nicht in manches andere passt: ein Kind. Bereits die Schwangerschaft bedeutet für die junge Frau eine Veränderung ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung und eine Schärfung ihres Bewusstseins – unter der großen, wenn auch unausgesprochenen Frage: Kann man es verantworten, ein Kind in diese Welt zu setzen? Sie denkt über Abtreibung nach, entscheidet sich dann aber für den Nachwuchs.

Und nun hat die Regisseurin Mirjam Neidhart eine Überraschung parat: „Das ist keine Geschichte über das Mutterwerden.“ Sondern? „Über die Frage, was das Mutterwerden gesellschaftlich und für die eigene Identität bedeutet – und wie man darüber schreiben kann.“ Fürwahr: Antonia Baums vierter Roman „Stillleben“, den Neidhart auf anderthalb Stunden Theatermonolog komprimiert und als Uraufführung ihrer szenischen Fassung an der Esslinger Landesbühne inszeniert hat, ist ein Buch des Reflektierens und Räsonierens. Glasklar analytisch, aber auch ungebremst emotional und selbstironisch verarbeitet die Autorin und Journalistin autobiographische Erfahrungen. Und die gelten in dem neuen, 2018 erschienen Buch beileibe nicht nur der Intimität werdender Mütterlichkeit, sondern der aktuellen, bedrohlichen und verwirrenden Außenwelt: von der sogenannten Willkommenskultur über die Kölner Silvesternacht bis zu IS-Anschlägen, Pegida, Rechtsextremismus, gesellschaftlicher Spaltung. Alles unter der Frage: Wie stellt sich das dar in der persönlich veränderten Situation – mit Kind, als berufstätige Frau und Mutter in einer immer noch von Männern definierten Arbeits- und Lebenswelt?

Die ganz andere Frage ist: Funktionieren solche Diskursmassen auf dem Theater? Ja, sagt die Regisseurin, denn der Text birgt nicht nur Diskurse, sondern „Situationen und Erzählungen, die sich sehr gut für die Bühne eignen. Und auch die reflektierenden Passagen sind durch konkrete Situationen motiviert.“ Einen Handlungsfaden zieht die Geschichte des Hauses, das die Protagonistin bewohnt: in einem billigen innerstädtischen Wohnviertel, einerseits angesagt, andererseits geprägt von Prekarisierung und sozialen Spannungen – denen die Yuppies jederzeit per Taxi entfleuchen können. Mit Kind wechselt die Empfindung, die gut situierte Akademikerin fühlt sich nun als Bewohnerin zweier Welten: als Mutter Teil des Viertels und all der Abgehängten, als Berufstätige privilegiert und auf dem Sprung. Am Ende wird das Haus abgerissen, und sie wagt erstmals auszusprechen, wohin sie nun mit Kind und Mann zieht: in ein „besseres Viertel“. Die offene Frage nimmt sie mit: Wie muss eine Gesellschaft beschaffen sein, damit Frauen in ihr Kinder kriegen können – ohne schlechtes Gewissen und Verrat am eigenen Leben?

Die Uraufführung beginnt an diesem Donnerstag, 7. Februar, um 20 Uhr im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses. Die nächsten Vorstellungen: 24. Februar, 22, und 31. März.