Frieder Bernius Foto: Gudrun Bublitz - Gudrun Bublitz

In einem Konzert in Stuttgart am kommenden Sonntag, 28. April, führt der Dirigent mit seinem Kammerchor Stuttgart und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen die Goethe-Vertonung auf: ein Gipfelwerk der romantischen Vokalmusik zwischen grotesker Dämonie und hymnischer Naturmystik.

StuttgartGoethes Hauskomponist Zelter fasste den Text nur mit spitzen Fingern an. Der Spott über „diese dumpfen Pfaffenchristen“, die geschilderten Gräuel der Zwangschristianisierung, der Widerstand der Heiden, die subversiv und im Geheimen an ihrer naturhaften Religion festhalten: Zelter fehlten dazu die Töne. Die Vertonung der „Ersten Walpurgisnacht“, die ihm der Dichter angetragen hatte, schrieb er nie. So musste Goethes 1799 verfasste Ballade bis 1830 auf die ihr zugedachte Musik warten. Der 21-jährige Felix Mendelssohn Bartholdy nahm das Werk in Angriff, korrespondierte mit dem greisen Dichter, schloss drei Jahre später – Goethe war bereits tot – die Komposition ab: ein mit Solisten, Chor und Orchester besetztes Gipfelwerk der romantischen Vokalmusik. Trotzdem ist „Die Erste Walpurgisnacht“ nur selten zu hören. Eine Gelegenheit dazu bietet sich am kommenden Sonntag im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle – auf hoch professionellem Niveau: Kurz vor der kalendarischen Walpurgisnacht (30. April auf 1. Mai) dirigiert Frieder Bernius seinen Kammerchor Stuttgart und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen in Mendelssohns Kantate.

Mit der „Ersten Walpurgisnacht“ schließt Bernius sein Mendelssohn-Projekt – die Gesamteinspielung der Chorwerke und Schauspielmusiken – ab. Die Aufführung am Sonntag wird vom SWR mitgeschnitten, die CD-Veröffentlichung bei Carus ist im kommenden Jahr geplant. Namentlich die Kirchenmusik Mendelssohns hat Bernius mit seiner vielfach ausgezeichneten Aufnahmeserie von jenen Vor- und Fehlurteilen des „Epigonalen“ oder des „Süßlichen“ befreit, die auch als Spätfolge der Verfemung des Komponisten wegen seiner jüdischen Abstammung gelten müssen. Wie aber verhält sich der sakrale Ernst zu Goethes „Walpurgisnacht“-Ballade, die freimütig Abscheu vor dem klerikalen Christentum, Sympathie für pantheistische Religiosität bekundet? Zeigt Mendelssohn hier seine andere Seite? „Ich glaube nicht, dass er aus seiner christlich-jüdischen Tradition ausbrechen wollte, dass ideologische Erwägungen für ihn überhaupt eine Rolle spielten“, sagt Bernius. „Es war die Verehrung Goethes, die ihn zur Vertonung brachte.“

Die Ballade – daher ihr Titel – handelt vom spukhaften nächtlichen Mummenschanz der Heiden, mit dem sie den Christen leibhaftige Heidenangst einjagen. Goethes Text wurde daher oft als Satire auf den christlichen Aberglauben verstanden. In Mendelssohns Vertonung, so Bernius, „ist jedoch nichts satirisch gemeint. Sie geht unmittelbar und kongenial auf den Wortlaut ein.“ So zieht der Komponist im Hexen- und Teufelschor zwar alle Register grotesker Dämonie, doch das hymnische C-Dur des Schlussgesangs schlägt mit seiner Licht-Symbolik mystisch ernste Töne an: ein hoher Anspruch für die Interpreten, die Gegensätze zu vermitteln, bekennt Bernius. Kombiniert wird die „Walpurgisnacht“ im Konzert sinnigerweise mit dem Elfenzauber von Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik.

Das Konzert beginnt am kommenden Sonntag, 28. April, um 17 Uhr im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle. Solisten sind Renée Morloc (Alt), David Fischer (Tenor), Stephan Genz (Bariton) und David Jerusalem (Bass).