Sie probieren Neues aus: Akademieleiter Hans-Christoph Rademann (rechts) mit Intendantin Katrin Zagrosek und Chefdramaturg Henning Bey. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Trotz Publikumsschwund Mut für die Zukunft: Mit neuen Projekten geht die Stuttgarter Bachakademie in die Saison 2019/20. Neben dem (zu) großen Beethovensaal werden akustisch geeignetere Räume ausprobiert.

StuttgartKeine gute Nachricht: Die Stuttgarter Bachakademie reduziert ab der kommenden Saison 2019/20 die Doppeltermine ihrer Abo-Konzertreihe auf einen Termin. Statt samstags und sonntags finden die fünf Konzerte im (zu) großen Beethovensaal künftig nur noch an einem der beiden Tage statt. Schwindender Publikumszuspruch macht die „betriebswirtschaftliche“ Maßnahme nötig, sagt Intendantin Katrin Zagrosek. Trotzdem will man bei der Akademie Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen nur bei Aufführungen der gleichnamigen Kantate des Namenspatrons anstimmen. „Wir treten keinen kleinlauten Rückzug an“, versichert Zagrosek. Vielmehr wird Neues ausprobiert: zum einen eine ebenfalls fünfteilige Konzertreihe im Ludwigsburger Forum, wobei drei Programme identisch mit denen der Stuttgarter Reihe sind.

„Hin und weg!“

Zum anderen ruft man in der Landeshauptstadt eine neue Reihe mit dem hübsch doppeldeutigen Titel „Hin und weg!“ ins Leben: An drei verschiedenen Orten (Wagenhallen, Domkirche St. Eberhard und Kunstmuseum) erklingt an drei Terminen jeweils eine Bach-Kantaten mit der Gaechinger Cantorey – zu einigermaßen niederschwelligem Kartenpreis, dirigiert und kommentiert von Akademiechef Hans-Christoph Rademann. Einerseits also eine Anknüpfung an die bewährten Rilling’schen Gesprächskonzerte, vielleicht eher gefühlsbetont als didaktisch, denn Rademann wird laut Intendantin seine ganz persönliche Sicht auf die Werke darlegen. Andererseits gibt das Projekt eine kluge Antwort auf die Stuttgarter Konzertsaalmisere. Aus der Not des Publikumsschwund wird die akustische Tugend kleinerer Räume gemacht, wo die barocken Klänge eher zum Tragen kommen als in den Weiten des Beethovensaals.

Dort wiederum streben Rademann und die Bachakademie konsequenterweise nach chorsinfonischen Dimensionen – mit dem Hausensemble der Gaechinger, dessen instrumentale Originalklangfraktion in zwei der Konzerte durch moderne Sinfonieorchester ersetzt wird. So steht im letzten der Abo-Konzerte (9. Mai 2020) Beethovens neunte Sinfonie mit der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern auf dem Programm, eingeleitet von Schönbergs A-cappella-Chorsatz „Friede auf Erden“, dessen Botschaft sich trefflich auf die große Menschheitsutopie im Schiller’schen Chorfinale der Sinfonie beziehen lässt. Der ganz große Knaller kommt bereits im Herbst 2019: Mit dem gigantisch besetzten „Te Deum“ von Hector Berlioz und den Stuttgarter Philharmonikern im Orchesterpart (23. November) erfüllt sich Rademann laut eigenem Eingeständnis „einen Traum“. Seit er einst in Dresden die Chöre für eine Aufführung mit Colin Davis einstudierte, wusste er: „Das willste auch mal dirigieren.“ Dem Publikum kann’s nur recht sein: Allzu oft ist das Werk nicht zu hören.

Barockes ist freilich aus den Abo-Konzerten – allesamt dirigiert von Rademann – keineswegs verbannt. Gleich zum Auftakt am 6. Oktober gibt es eine hoch interessante Konstellation: Jan Dismas Zelenkas Requiem für den 1733 verblichenen katholischen Sachsenherrscher August den Starken trifft auf Johann Sebastian Bachs Trauerode für Augusts bereits 1727 gestorbene evangelische Gattin Christiane Eberhardine.

Mozart ist das Konzert am 23. Februar 2020 gewidmet (c-Moll-Messe und Jupiter-Sinfonie). Am 8. Dezember werden Weihnachtskonzerte von Corelli und Locatelli kombiniert mit Chorwerken Vivaldis – gesungen vom jungen Patenchor der Gaechinger Cantorey. Die Arbeit mit jungen Menschen ist Rademann erklärtermaßen ein Herzensanliegen. Vom „Bach bewegt“-Tanzprojekt mit Schülern in einer Choreografie zu Mozarts Requiem (9. und 10. November im Ludwigsburger Forum) schwärmt er: „Es ist beeindruckend, wie tief die Jugendlichen bei der Vorbereitung über die Themen Tod und Vergänglichkeit nachgedacht haben.“

Im Dialog mit der Familie

Auf den Nachwuchs zielt auch die Bachwoche vom 13. bis 21 März 2020, diesmal Bach im Dialog mit seiner Musikerfamilie gewidmet, sagt Chefdramaturg Henning Bey. Neben den Gaechingern und dem Jungen Stuttgarter Bach-Ensemble ist Kay Johannsens Stiftsmusik dabei. Und der bachakademische Top Act, das Musikfest, fällt bekanntlich 2019 flach und wird zum neuen Termin (12. bis 28. Juni 2020) neu aufgestellt als Kooperationsfestival mit den Stuttgarter Philharmonikern, dem Staats- und dem SWR-Symphonieorchester. Das Programm unter dem Hölderlin’schen Motto „heilignüchtern“ – 2020 ist das 250. Geburtsjahr des Dichters – wird im Januar bekanntgegeben.

In einer Zeit, in der klassische und namentlich geistliche Musik kein Selbstläufer mehr ist, spricht aus dem Programm die Kunst der Fokussierung: auf profilierte Projekte, auf geeignete Räume, auf die interpretatorische Qualität, für die Rademann bürgt.