Stuttgarts ungewöhnlichste Wohnung: An die riskante Sanierung wagte sich die Architektin Tina Kammer. Foto: A. Körner/Bildhübsche Fotografie - A. Körner/Bildhübsche Fotografie

Stuttgarts ungewöhnlichste Wohnung: Aus einer Hinterhof-Bruchbude macht die Architektin Tina Kammer ein stilvolles Stadthaus.

StuttgartDie Handwerker konnten es nicht fassen: „Das soll jemand gekauft haben?“ Tatsache! „Das“ war eine ehemalige Schlosserei aus der Zeit um 1900 in einem Hinterhof im Stuttgarter Lehenviertel. Übrig war davon jedoch nur noch eine jämmerliche Ruine. Der Abnehmer, ein hochgewachsener, elegant gekleideter Holländer, zuckt lässig die Achseln und sagt: „Ich hatte das Gefühl, da könnte man was Tolles draus machen.“

Abenteuerlustig, der Mann. Ein Kosmopolit jedenfalls, der als Eurythmie-Lehrer viel in der Welt herumgekommen ist und auf seinen Reisen wohl begriffen hat, dass der sicherste Weg nicht unbedingt der beste sein muss. Wie auch immer – Hajo Dekker hat recht behalten. Heute steht dort ein schmuckes Wohnatelier und eine der ungewöhnlichsten Immobilien Stuttgarts: ein Flachbau mit markantem Betongesims, ringsum überragt von Brandwänden und Küchenbalkonen.

Die Architektin Tina Kammer kennt sich aus mit unkonventionellen Projekten. Vor einigen Jahren hat sie mit ihrem Büro Interior Park eine ehemalige Stuttgarter Bäckerei in eine Kunstgalerie verwandelt – unter Verwendung aller Materialien und Gegenstände, die von den Vorbesitzern zurückgelassen worden waren – inklusive Backpapier, das zu Zöpfen geflochten eine neue Polsterung für die Sitzbänke ergab. Recyceln, Umnutzen, von diesen umweltfreundlichen Grundsätzen lässt sich Tina Kammer in ihrem Bauen leiten. Aber sie gesteht auch, dass ihr das Himmelfahrtskommando Schlosserhof, wie der noble Name der als Wohngebäude wiedergeborenen Schlosserei nun lautet, viele schlaflose Nächte bereitet hat: „Extremer kann ein Bestand nicht sein.“

Die Rettungsaktion war mit hohen Risiken verbunden, Garantien wollte kein Handwerksbetrieb und keine Baufirma übernehmen, und bis dieses Relikt vor dem endgültigen Kollaps gesichert war, wackelte die Investition ihres Bauherrn mindestens so sehr wie das morsche Gemäuer. Über die Geschehnisse auf der Baustelle hielt die Architektin unterdessen den meist offline im Ausland weilenden Dekker per Postkarte auf dem Laufenden.

So viel Substanz wie möglich sollte erhalten bleiben und am Ende steht ein aus Ruinen auferstandener, stylisher Loft. Anthroposophen würden freilich schon von den vielen rechten Winkeln im Haus Kopfschmerzen kriegen. Hajo Dekker macht das nichts aus, über Dogmen ist einer wie er erhaben.