Wenn die WLB „Schtonk!“ macht, darf Drehbuch-Koautor Ulrich Limmer (zweiter von links) nicht fehlen. Intendant Friedrich Schirmer (Mitte), Junge-WLB-Chef Marco Süß (zweiter von rechts), Chefdramaturg Marcus Grube und Verwaltungsdirektorin Vera Antes präsentieren den neuen Spielplan . Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Friedrich Schirmer, Intendant der Esslinger Landesbühne (WLB), schwenkt die Filmdosen. Wird die WLB jetzt zum Kino? Umgekehrt: Kino wird zu Theater. Man wolle die „dramatische Substanz von Drehbüchern“ auf der Bühne erproben, sagt der WLB-Chef. Filmstoffe spielen deshalb eine prominente Rolle im Spielplan der neuen Saison 2017/18, der gestern vorgestellt wurde - wie immer als eine Art detaillierteres Remake, denn die Erstpräsentation für den Gastspielmarkt fand bereits im vergangenen Herbst statt.

Der Kino-Schwenk beschert der WLB einen echten Knaller, nämlich die theatralische Uraufführung von Helmut Dietls und Ulrich Limmers „Schtonk!“ um die gefälschten Hitler-Tagebücher und ihre Veröffentlichung 1983 im „Stern“. 1992 kam die Filmsatire heraus, einige Theater hatten sich seither um szenische Aufführungsrechte bemüht, die WLB bekam den Zuschlag. Warum? „Ihr wart am begeistertsten von eurer Begeisterung“, sagte Ulrich Limmer, der zur Spielplanpräsentation angereist war. WLB-Chefdramaturg Marcus Grube führt Regie, die Filmrolle von Uwe Ochsenknecht als Fälscher Fritz Knobel (im richtigen Leben: Konrad Kujau) übernimmt Martin Theuer, Oliver Moumouris gibt den im Film von Götz George gespielten Skandalreporter Hermann Willié.

Geschichten und Geschichte

Komische, tragische, aber stets dramatische Geschichten: Darum geht es Schirmer und seinem bemerkenswert konstanten Ensemble, das ohne größere Zu- oder Abgänge in die neue Saison wechselt. „Im Windschatten der großen Häuser“, so der Intendant, „leben wir unsere Liebe zum Theater, zu den Menschen und ihren Geschichten.“ Soll wohl heißen: Ohne den Druck hochgekochter Theatermoden will man sich aufs Wesentliche des Bühnenmediums besinnen. Und aus individuellen Geschichten große Weltgeschichte herausfiltern. Zum Beispiel mit Ilse Langners „Frau Emma kämpft im Hinterland“, einer Ausgrabung aus dem Jahr 1928, die von der Entfremdung zwischen den in den Ersten Weltkrieg geschickten Männern und den Frauen daheim handelt. Doch nicht nur damit endet - pünktlich im 100-jährigen Abstand - die programmatische Auseinandersetzung im WLB-Spielplan mit jenem Weltkrieg, der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. An der Jungen WLB vergleicht Tobias Ginsburgs „Ein Kriegsspiel“ die Terror-Freiwilligen des IS und die damaligen Kriegsbegeisterten, basierend auf Briefen des 1916 gefallenen Esslinger Georgii-Gymnasiasten und Optikersohns Adolf Stadler.

Jüngere Zeitgeschichte kommt unter anderem mit zwei Singspielen der 1999 gestorbenen Ortrud Beginnen auf die Bühne: „Wir Mädel singen“ ist eine bitterböse Persiflage auf teutonisch-leitkulturelle Willkommenskultur, „Mein Freund Rudi“ folgt den 68ern ins Senioren-Wellnesscenter. Knapp 20 Jahre nach dem glorreichen Revolutionsjahr ziehen junge Menschen ins „Auerhaus“, eine WG auf der Schwäbischen Alb. In seinem gleichnamigen Erfolgsbuch zeigt Bov Bjerg - trotz des schwedisch klingenden Pseudonyms ein Sohn der schwäbischen Provinz - ein von den gestandenen Älblern skeptisch beäugtes Leben zwischen Kiffen, Abi-Vorbereitung und Psychiatrie. Christof Küster inszeniert die Roman-Dramatisierung.

50-jähriges 68er-Gedenken

Und weiter führt die WLB-Regio-Schiene nach Ober- und Unterrieslingen. zu Ulrike Grotes schwäbischer Romeo-und Julia-Geschichte „Die Kirche bleibt im Dorf“. Womit wieder die theatralische Filmklappe fällt: Erstmals kommt der Kinoerfolg von 2012 auf die Bühne. Und die Klappe fällt noch einmal mit „Wir sind die Neuen“ nach Ralf Westhoffs Film von 2014, zugleich ein weiterer Beitrag zum 50-jährigen 68er-Gedenken: Finanziell klamme Alt-Revoluzzer gründen eine Billiger-Wohnen-Kommune - als Nachbarn einer studentischen, äußerst ruhebedürftigen Streber-WG.

Ein großer Theaterstoff steht mit Ibsens „Hedda Gabler“ und Kristin Göpfert in der Titelrolle am Saisonbeginn, Heinz Rudolf Kunzes „Sommernachtstraum“-Musical („Dein ist mein ganzes Herz“) macht das Freilicht-Finale. Dazwischen gibt es nebst weiterem ein Elvis-Comeback mit Nils Strassburg, 2012 ausgezeichnet als bester deutscher Presley-Imitator, einen laut Schirmer auf „das Faustische“ des Teufelsbündler-Stoffs konzentrierten „Freischütz“ nach Webers Oper und einen „Miesepups“ an der Jungen WLB, der Spartenchef Marco Süß zufolge seinem Namen alle Ehre machen wird. Weitergedreht werden an der Kinder- und Jugendsparte die Abenteuer der Kurzhosengang und des Herrn Bello, des sprechenden Hunds aus der Feder Paul Maars.

Der neue Spielplan setzt Schirmers Balance-Konzept von Regionalem und Zeitgeschichtlichem, von Wiederentdecktem und neu Betrachtetem stimmig fort. Vom Publikum wird solche Findigkeit goutiert: In der Spielzeit 2015/16 sahen 113 082 Zuschauer die 450 Esslinger Vorstellungen und die 345 Gastspiele - die beste Besucherbilanz seit 25 Jahren. Allein in Esslingen kamen 69 833 Zuschauer in WLB-Aufführungen, knapp 5000 mehr als in der Saison 2014/15. Für die laufende Spielzeit 2016/17 zeichnen sich laut Verwaltungsdirektorin Vera Antes ein ähnlich erfolgreiches Ergebnis ab.

www.wlb-esslingen.de

die Premieren im Überblick

Schauspielhaus

Henrik Ibsen: Hedda Gabler. Premiere am 23. September 2017.

Regie und Bühne: Alexander Müller-Elmau.

Tom Blokdijk nach dem Roman von Jack London: Der Seewolf. Uraufführung am 13. Oktober 2017. Regie: Daniel Wahl.

James Lyons: ELVIS, Comeback! Eine musikalische Revue. Uraufführung am 27. Oktober 2017.

Regie: James Lyons.

Ulrike Grote: Die Kirche bleibt im Dorf. Uraufführung am 7. Dezember 2017. Regie: Christine Gnann.

Ilse Langner: Frau Emma kämpft im Hinterland. Premiere am 13. Januar 2018. Regie: Laura Tetzlaff.

Helmut Dietl und Ulrich Limmer: Schtonk! Uraufführung der Theaterfassung am 10. Februar 2018.Regie: Marcus Grube.

Carsten Golbeck und Bernd Feuchtner nach der Oper von Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Uraufführung am 10. März 2018. Regie und Bühne: Marcel Keller. Musikalische Leitung: Edgar Müller-Lechermann.

Nina Wurman: Dream A Little Dream - Lieder zur Nacht. Uraufführung am 29. März 2018. Regie und musikalische Leitung: Nina Wurman.

Bov Bjerg: Auerhaus. Premiere am 8. Juni 2018. Gemeinschaftsproduktion mit der Jungen WLB.

Regie: Christof Küster.

Freilicht in der Maille

Ein Sommernachtstraum. Musical nach William Shakespeare. Neufassung und Songtexte von Heinz Rudolf Kunze. Musik von Heiner Lürig. Premiere am 21. Juni 2018. Regie: Klaus Hemmerle. Musikalischer Leitung: Wolfgang Fuhr.

Podium 1

Ortrud Beginnen: „Wir Mädel singen“ - Eine deutsche Angelegenheit. Premiere am 24. September 2017. Regie: James Lyons. Musikalische Leitung: Oliver Krämer.

Stephen Sachs: Das Original. Premiere am 26. Januar 2018. Regie: Silvia Armbruster.

Ralf Westhoff: Wir sind die Neuen. Premiere am 23. März 2018. Regie: Klaus-Dieter Köhler.

Studio am Blarerplatz

Harold Pinter: Der stumme Diener. Premiere am 22. September 2017. Regie: Marek S. Bednarsky.

Ortrud Beginnen: Mein Freund Rudi - Ein Wohltätigkeitsabend für alternde 68er. Premiere am 30. April 2018. Regie: James Lyons. Musikalische Leitung: Oliver Krämer.

Junge WLB

Zoran Drvenkar: Die Kurzhosengang und das Totem von Okkerville. Ab elf Jahren. Uraufführung am 16. September 2017 im Podium 2. Inszenierung: Jakob Weiss.

Paul Maar: Wiedersehen mit Herrn Bello. Ab fünf Jahren. Uraufführung am 25. November 2017 im Schauspielhaus. Regie: Jan Müller.

Kirsten Fuchs: Der Miesepups. Ab vier Jahren. Uraufführung am 3. März 2018 im Studio am Blarerplatz. Regie: Benedikt Grubel.

Tobias Ginsburg: Ein Kriegsspiel. Ab 13 Jahren. Uraufführung am 17. März 2018 im Studio am Blarerplatz. Regie: Tobias Ginsburg.