Da haut’s di um: Andreas Gabalier im ausverkauften Stadion. Foto: Lg/Willikonsky - Lg/Willikonsky

Rein publikumsmäßig hat der selbsternannte Volks-Rock’n’Roller aus der Steiermark sogar Phil Collins getoppt: 50.000 wollten Andreas Gabalier in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena hören und sehen. Und die Fans wissen, was sie an ihm haben: eine Mixtur aus Pop, Rock, Schlager, Blues, Bierzelttauglichem und Almjodler.

StuttgartAndreas Gabalier lässt gleich dreifach die Muskeln spielen. Als Intro flimmert auf großen Leinwänden das Video zu „Pump it up“, jenem unsäglichen Song, bei dem der Steirer Bua mit keinem Geringeren als Bodybuilding-Ikone, Terminator und Landsmann Arnold Schwarzenegger dicke Backen macht. Nachdem er einem Gladiator gleich in den Innenraum eingezogen ist, steht Gabalier höchstselbst auf der Bühne: breitbeinig, stiernackig und die abartig dicken Oberarme weit ausgebreitet. Fortan verwandelt er die halbrunde, gut einsehbare Bühne in eine musikalische Mucki-Bude, in der der 34-Jährige knapp drei Stunden lang Volks-Rock’n’Roll-Eisen stemmt. Mit 50.000 Fans in der ausverkauften Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena stellt er zuschauermäßig sogar das Open-air von Phil Collins in den Schatten. Wahnsinn!

Wadln und Madln

Es scheint, als ob sich der Österreicher einen Bizeps-Panzer zugelegt hat – gegen all die niederprasselnde Kritik. Denn nicht allen gefallen Gabaliers konservative Ansichten, sein christlicher Glaube, seine Einstellung zur zwischenmenschlichen Liebe und seine Heimattümelei, die er in Songs wie „Dahoam“, „Kleine heile steile Welt“ oder „Steirerland“, zu dem die Schwaben im Stadionrund aufstehen und lautstark „du bist mein Heimatland“ (!) singen, thematisiert. Manche verorten Gabalier im rechtspopulistischen Milieu, werfen ihm Homophobie und anderes mehr vor. Natürlich spricht Gabalier den medialen Gegenwind in der Stuttgarter Arena an – und spielt dann das Lied „A Meinung haben“. Zur Begeisterung seines Publikums. Denn das gibt auf die Vorhaltungen keinen Pfifferling. Für die Fans ist Gabalier einfach ein großartiger Typ, der schlichte Bergbauernbua, der fesche Volks-Rock’n’Roller. Bodenständig, charmant, anständig und sexy. Sie feiern ihn – und sich selbst. All die Sissis, die ihre Franzls ausführen, sind im kollektiven Freudentaumel. Es wird getanzt, gehüpft, geschunkelt, geklatscht und gesungen. Standesgemäß in Tracht: Die Wadln in Lederhosen, die Madln im Dirndl.

Gabalier, der Liebe empfängt, gibt den Fans Liebe, Freude und Mut zurück. Er gefällt sich in der krachledernen Pose, die auch eine Rebellen-Pose ist. Um den aufgepumpten Bizeps und das Handgelenk hat er rotweiß karierte Tücher gebunden, unter schwarzer Weste trägt er ein Schwarzenegger-T-Shirt. Stimmgewaltig röhrt er in das Hirschgeweih-Mikrofon, kreist verführerisch die Hüften, greift abwechselnd zum Akkordeon, zur akustischen und elektrischen Gitarre und nimmt auch mal Platz am hölzernen Klavier. „Oh, wie ist das schön“, singt die Arena.

Seiner Musik wohnt eine besondere Haltung inne. Sie kündet von einer heilen Welt, die es draußen so gut wie nicht mehr gibt. Die Songs, die er spielt, tragen Titel wie „Vergiss mein nicht“, „Sweet Little Rehlein“ oder „Bis Du einschlafen kannst“. In seinem Habitus stilisiert er sich zum kernigen Martin Gruber der Volksmusik-Seele, der die Befindlichkeiten seiner Fans sehr ernst nimmt – und es gleichzeitig herzerweichend krachen lassen kann. Wie beim Konzert in der Schleyerhalle im Oktober schafft es Gabalier, den Wasen kurzerhand auch anderswo zu verorten: diesmal in der Fußball-Arena. Seine Art Cannstatter Volksfest ist eine Mordsgaudi. Wo Gabalier auftritt, bebt der Tanzboden. Der Sound ist für Arena-Verhältnisse sehr gut, leider können das schöne Bühnenbild, das mit der früheren Almhüttenromantik fast nichts mehr gemein hat, und die fantasievolle Lightshow erst im letzten Konzertdrittel ihre Reize ausspielen.

Pop goes Jodler

Musikalisch ist an Gabalier und seiner zwölfköpfigen, gut geölten Band inklusive Bläsertrio und einer Cellistin auch nichts zu kritteln. Die mit Ecken und Kanten belassene Mixtur aus Pop, Rock, Schlager, Blues, Bierzelttauglichem und Almjodler lässt keine Wünsche offen. Der handgemachte Einkehrschwung ist eine gemähte Wiese: überraschungsfrei, bei den Melodien immer wieder mit Déjà-Vu-Momenten, mit etwas Leerlauf in der Konzertmitte, letztlich aber mit einem launigen zehnjährigen Karriere-Rückblick.

2009 veröffentlichte Gabalier sein Debütalbum „Da komm’ ich her“. Mit „Volks-Rock’n’Roller“ und dem Bryan-Adams-Verschnitt „Verdammt lang her“ startet er seine Jubiläums-Zeitreise und beendet sie mit seinem Lieblingslied „Sie“ und „Hulapalu“. Dazwischen beweist er mit einem Blues-Medley und auch mit ruhigeren Tönen seine unbestreitbare Klasse und Stimme. Gabalier ist Überflieger und Erneuerer der Volksmusik, der er mit einer gehörigen Portion Rock eine Frischzellenkur verpasst hat.

Am Ende eines friedlich-harmonischen Konzerts geht Gabalier in seiner Rampensau-Rolle, die Schmalz und mehr noch den Schweiß triefen lässt, vollends auf. Nachdem die letzten Töne von „Hulapalu“ verklungen und rotweiße Luftschlangen niedergeregnet sind, lässt er sich, fix und alle von der Hitze, ganz vorne auf dem auskragenden Laufsteg niedersinken und streckt minutenlang wie bewusstlos alle viere von sich. Alles geben, sing um dein Leben – das ist sein Motto. Der lässige Sympathikus ist selbst in der Horizontalen eine Urgewalt, ein Schwarzenegger des Heimatlieds, ein Terminator der schlechten Laune, dem das Herz überquillt und der aus dem Herzen singt. „Oh wie ist das schön“, skandiert die Arena zum wiederholten Male. Minutenlang.

Obligatorisch verabschiedet sich der ehemalige Jurastudent im Zugabenteil mit „Ewig“ und der sehr bewegenden Ballade „Amoi seg’ ma uns wieder“. Auf dem Steg brennt dazu eine kleine Feuerschale. Das Lied ist ein Mini-Requiem an seine Schwester und seinen Vater, die beide Suizid begangen haben. Anders als früher ringt Gabalier beim emotionalen und privaten Höhe- und zugleich Schlusspunkt nicht mehr mit seinen Gefühlen. Er hat Frieden nach den Tragödien gefunden und leitet das Stück nach dem akustischen Teil mit Cello, bei dem andächtige Stille herrscht, in einen rockig-hymnischen Abgesang über. 50.000 Fans erleben in diesem wirklich magischen Moment das Gefühl von geballter Geborgenheit. Hoffentlich sieht man sich irgendwann wieder.