„Prophylaktisch einfach mal hineinschießen“: Erich Koslowski (links) als Rudolf, Herbert Häfele als Gustav. Foto: Bernd Eidenmüller - Bernd Eidenmüller

Zwei Männer auf einem Hochsitz, die Flinten im Anschlag: In Susanne Hinkelbeins „Waidmannsheil!“, als Koproduktion der Esslinger Landesbühne und der Galgenstricke zu sehen, geht ein harmloser Jägerschwank über in eine makabre Tragödie.

EsslingenDie sich da gemütlich auf dem Hochsitz über Tannenwipfeln eingerichtet haben – zünftig im grünen Rock mit rot-weiß-kariertem Hemd und Gamsbart am Hut – sind Gustav und Rudolf. Sie sitzen mit Blick auf die Lichtung, wo jedoch keine kapitale Wildsau wühlt, sondern das Publikum neugierig Platz genommen hat. Da fällt ein Schuss, der nicht der einzige bleiben wird in dieser Koproduktion der Esslinger Landesbühne (WLB) mit den Galgenstricken Herbert Häfele und Erich Koslowski. Die beiden Kabarettisten geben als Gustav und Rudolf die beiden Jäger in Susanne Hinkelbeins bitterböser, schwarzhumoriger Farce „Waidmannsheil!“, die als harmloser Jägerschwank beginnt und sich zur makabren Tragödie wandelt. Worauf das groß klaffende Einschussloch samt Schmauchspuren im satten Grün des Bühnenhintergrunds schon vorausdeutet.

„Nur Jäger und Gejagter“

Wichtiger, als Schwarzwild zur Strecke zu bringen, scheint den beiden auf ihrem Jägersitz das Reden zu sein: In breitem Schwäbisch kommen sie vom Hölzchen aufs Stöckchen. Da wird Banales und Floskelhaftes einfach so daher geschwätzt. Da werden Dorftratsch und Stammtischparolen kommentiert, da wird über Mechthilds Kirschbaum, die Schulnoten des Nachbarbuben und Rosis vergebliche Suche nach einem Mann fürs Leben gelästert. „Und der Fritz ist auch schon tot.“ Da wird über Steine, Bäume und die Natur sinniert. „Wo gehen Läuse hin im Winter?“ Neben all den Plattitüden versteigen sich Rudolf (Erich Koslowski) und Gustav (Herbert Häfele) auch in Tiefgründiges, fast Philosophisches: vorschnelle Urteile, frei herumfliegende Gedanken, Moral und Anstand, Gefühle und Ängste. „Da draußen bist du nur Jäger und Gejagter.“

Und da weder Wildsau noch Fuchs oder Has‘ sich zeigen, sorgen die beiden, die sich auf ihrem Ansitz unbeobachtet fühlen, selbst für Dramatik und steigern sich in mordlustige Fantasien hinein: „Man könnte ja prophylaktisch einfach mal in den anderen Hochstand hineinschießen?“ Gustav zitiert Jägertugenden: „Ein gewisser Abschuss dient der Hege.“ Gnade der Hochzeitsgesellschaft, die den beiden Voyeuren vor die Flinte kommt. Ein totes Eichhörnchen hingegen lässt den beiden Mannen die Stimme brechen.

Das ist absurd, skurril und trotzdem – um im Bild zu bleiben – zum Schießen komisch, wie Häfele und Koslowski mit großer Lust diesen knapp zwei Quadratmeter großen Jägerstand bespielen. In der Regie von Klaus-Dieter Köhler (Bühnenbild und Kostüme: Birgit Eder) kommt das Komödiantische nicht zu kurz, wenn Rudolf mühsam die Leiter erklimmt, wenn sich Gustav auf der hölzernen Bank breit macht oder wenn sich die beiden das einzige Fernglas teilen. Hübsche Anspielungen auf den Wellness-Trend Waldbaden oder die Leistungen des VfB aktualisieren das preisgekrönte Stück von 2004, das fein beobachtete Szenen wie in einer musikalischen Partitur aneinanderfügt.

Da rascheln die Blätter, da säuselt der Wind, da zwitschern die Vögel, da grunzt das Wildschwein. Das gemeinsame Anlegen, Zielen, Entsichern und Abstellen der Gewehre ist perfekt durchchoreografiert. Zwischendurch singen Rudolf und Gustav auch, von Waldeslust und munterem Schall – mal aus purem Spaß, mal gegen die Angst, wenn sie sich schunkelnd in Sicherheit wiegen: „Gar lustig ist die Jägerei.“ In köstlicher Wiederholungsschleife gibt’s eine Sequenz mit ganz viel „ällemol“ und „älleweil“ und einem exklamatorischen „Ha wa!“ mit vollem Mund beim Landjäger-Kauen. Susanne Hinkelbeins rhythmische und musikalische Sprache ist ein echter Genuss und macht nicht nur den beiden Schauspielern, sondern auch dem Publikum Spaß: Dubidu, trara und lalala, bevor Rudolf und Gustav ein Halali zum Ende der Jagd blasen.

Diese Inszenierung ist ein Volltreffer, ein veritabler Blattschuss. Vor allem, weil über dem urkomischen Gerede der beiden immer das vermeintlich so unschuldig daherkommende und in populistischen Kreisen so beliebte „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“ schwebt. Und weil das Stück sich satirisch damit auseinandersetzt, ob man, beim Heiligen Hubertus, jeden Gedanken auch zu Ende denken darf. Auch wenn dieses Ende kaltblütig, unmenschlich und tödlich ist.

Die nächsten Vorstellungen: 21., 27. und 28. September sowie 26. Oktober im Keller der Galgenstricke; 14. und 19. November, 7. und 19. Dezember sowie 24. Januar im Podium I des Esslinger Schauspielhauses.