Denkmal zu Lebzeiten: Tom Jones ist ein begnadeter Interpret mit einer unverwechselbar kraftvollen Bariton-Stimme. Foto: Reiner Pfisterer Quelle: Unbekannt

Man ahnt bereits, dass man es offenbar mit einem ganz und gar außergewöhnlichen Konzert zu tun hat. In jeder sparsamen Geste und jedem Ton merkt man, dass der Künstler enormen Spaß hat.

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Tom Jones ist der Sean Connery der Musikbranche. Ein Denkmal zu Lebzeiten, eine Ikone. Ein „James Bond“ und ein Edelmann zugleich. Zu Recht wurde er von Königin Elizabeth II. 2006 in den Adelsstand erhoben. Majestätisch gerät Sir Tom auch sein fantastisches Konzert im Rahmen der Stuttgarter Jazz Open vor der prachtvollen Kulisse des Neuen Schlosses.

Fast beiläufig kommen kurz vor 21 Uhr Drummer Gary Wallis und Gitarrist Scott McKeon auf die Bühne. Ein akzentuiertes Blues-Riff bereitet das Entrée von Tom Jones. Doch als der kürzlich 77 gewordene, noch immer unverschämt gut aussehende, quicklebendige Sänger - graue, kurzgelockte Haare, grauer Oberlippenkinnbart und hellblaues Jacket - die Bühne betritt, empfängt den „Tiger“ nicht mehr als freundlicher Applaus. Fast niemand im bestuhlten Innenraum erhebt sich. Das ist keine angemessene Reaktion. Nicht auf das, was Jones war, was er ist und auf das, was noch kommt.

Wie als Replik darauf legt der gebürtige Thomas John Woodward, 1940 in Wales geboren, mit einer gehörigen Portion Nachdenklichkeit los. „Burning Hell“ pulsiert wunderbar. Der Song stammt vom überragenden Gospel-Album „Praise & Blame“ (2010), seinem insgesamt 39., und Jones gibt dem Boogie von John Lee Hooker eine schwer stampfende Blues-Note. Mit dem zweiten Stück, dem Traditional „Run on“, erweist er keinem Geringerem als Elvis Presley die Ehre. Beim dritten Lied, dem groovenden Randy Newman-Cover „Mama told me not to come“, hat sich die Bühne endgültig gefüllt. Insgesamt neun hochkarätige Musiker inklusive Bläsern stehen Jones nun zur Seite und rollen ihm einen breit gewebten Klangteppich aus für weitere Traditionals wie dem dynamischen „Didn’t it rain“, dem düsteren Blind Willie Johnson-Cover „Soul of Man“ vom Album „Spirit in a Room“ (2013) und Gospelnummern wie das schwermütige, vom Banjo geprägte „Did trouble me“, geschrieben von der US-Amerikanerin Susan Werner.

Doch mit seinem Fokus auf Blues und Gospel, auf Traditionals und Country kann sich das Publikum nur bedingt anfreunden. Obwohl Jones die Essenz, den Spirit der Songs, brillant herausarbeitet, und scheinbar in der Spiritualität seine Alters-Bestimmung gefunden hat, goutieren die 3000 Fans den Auftakt verhalten. Man wird nicht richtig warm miteinander. Und doch: Bei aller süßen Bitterkeit ahnt man bereits, dass man es offenbar mit einem ganz und gar außergewöhnlichen Konzert zu tun hat.

Mit „Sex Bomb“, das sich von tiefer, entschleunigter Blues-Erdung zu wunderbarem Soul-Funk wandelt, läutet Jones die Abkehr ein und als hätten die Fans nur auf diesen Hit von 2000 gewartet, stehen sie plötzlich alle. Plötzlich feiern sie, was längst hörbar war: den „Tiger“ in Hochform, noch immer mit purem Gold in der Kehle. Die einzigartige, unverwechselbar kraftvolle Bariton-Stimme, so voluminös wie vor Jahrzehnten, dringt unter die Haut, egal, ob Jones von Gott und Engeln, von der Seele oder der Hölle singt oder einfach nur von der Liebe. Seit jeher geht es Jones schlichtweg um die Kraft der Stimme - und um die Kraft der Songs.

Der begnadete Interpret drückt jedem Song seinen unverkennbaren Stempel auf und lässt sie so klingen, als wären sie eigens für ihn komponiert worden. So wie das nur ganz wenige Künstler der Welt beherrsch(t)en. So wie Tina Turner. So wie einst Joe Cocker. An dessen „You can leave your hat on“, ebenfalls von Randy Newman komponiert, versucht sich auch Jones, allerdings, und das ist der einzige kleine Wermutstropfen dieses Konzerts, kann seine gegen Cockers druckvolle Interpretation an diesem Abend nicht reüssieren. Dafür gelingt dem Waliser mit Leonhard Cohens „Tower of Song“ ein ganz außergewöhnlicher, monumentaler Moment. Es ist traumhaft, wie Jones Stimme über der Essenz schwebt und er das Lied mit wundervollem Gespür in seiner unaufdringlichen, harmonischen Schönheit entfaltet.

Das Ende des Sets ist ein Finale furioso. Die All-time-Klassiker „What’s new, Pussycat?“ mit Sousaphon-Pointierungen, sowie „It’s not unusual“, mit dem er 1964 einen Nummer 1-Hit landete, „If I only knew” und das Billy Boy Arnold-Cover „I wish you would“ entwickeln einen unglaublichen Drive und Jones pusht, trotz seines Alters, seine Band, die sich jetzt selbst Ovationen verdient, immer weiter nach vorne. Frische Arrangements hat er den vermeintlich alten Hits gegeben, die durch die feine Politur und die kristallklare Klangqualität besser klingen als je zuvor.

Die erste Zugabe „Kiss“ ist eine hervorragende Hommage an das leider viel zu früh verstorbene „große Genie“ Prince. Die Begeisterung kennt nunmehr keine Grenzen mehr. In jeder sparsamen Geste und jedem Ton merkt man, dass Jones enormen Spaß hat. Nach dem knalligen Sister Rosetta Tharpe-Cover „Strange Things“, 90 Minuten und einem „God bless you“ ist Schluss.

Hinter einem liegen eine bewegende Stimme und eine tiefe Seele, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Ergriffenheit. Es gibt noch so viel Vitalität und Musik in Tom Jones. Wunderschön, dass er dies die Welt noch immer hören lässt. Hoffentlich noch viele Jahre. Gott segne dich, Tom Jones.