Zuneigung ist im Spiel: Die Installation „Ensemble mit Dekor“ von Anna Oppermann besteht aus mehr als 250 Einzelteilen. Foto: Werner J. Hannappel Quelle: Unbekannt

„Wenn ich keine Gänsehaut bekommen habe, habe ich eine Arbeit nicht in unsere Sammlung aufgenommen.“Die Arbeiten stehen im Kontext zueinander oder fügen sich zu Kontrasten quer durch drei Stockwerke.

Von Elke Eberle

Stuttgart - Seit den späten 1980er- Jahren sammelt das Ehepaar Alison und Peter W. Klein Kunst. Die Sammlung ist kontinuierlich gewachsen, inzwischen haben sie Arbeiten von 900 Künstlern in ihrem Fundus. Regelmäßig zeigen sie Teile ihrer Sammlung in unterschiedlichen Kontexten in dem vor zehn Jahren eröffneten Museum Kunstwerk in ihrem Heimatort Nussdorf. Einen Ausschnitt der Sammlung mit rund 90 Arbeiten von 28 Künstlern präsentiert jetzt das Kunstmuseum in der Ausstellung „Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist. Sammlung Klein“.

Eine vielschichtige, poetische und rätselhafte Installation entfaltet sich im ersten Raum der Ausstellung. Sie besteht aus mehr als 250 Einzelteilen - Polaroids, Fundstücken, Fotoleinwänden, Zeichnungen, Skizzen und Notizen. „Ensemble mit Dekor“ hat Anna Oppermann ihre Arbeit lapidar genannt. In Klammern gesetzt hat sie den Untertitel „(Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist) - Dekor mit Birken, Birnen und Rahmen (1969 - 1984 - 1992)“. Erst im Januar 2017 hat Peter W. Klein die Installation erworben, sie ist ein Angebot an den Betrachter, Dinge zu entdecken, sich auseinanderzusetzen, mit unbekanntem Neuem und mit sich selbst, mit dem Unabgeschlossenen und mit Räumen, die nur in Gedanken entstehen. Und sie steht exemplarisch für Kleins Zuneigung zur Kunst und ihren das Leben bereichernden, einzigartigen Möglichkeiten.

Alison und Peter W. Klein dachten zunächst nicht an eine Sammlung, kauften Kunstwerke einfach, weil sie ihnen gefielen. Diese Anfangszeit war geprägt von großer Euphorie und Emotionalität. In einem Interview mit der Museumsdirektorin des Kunstmuseums Ulrike Groos sagte Peter W. Klein: „Wenn ich keine Gänsehaut bekommen habe, habe ich eine Arbeit nicht in unsere Sammlung aufgenommen.“ Heute findet Peter W. Klein mehr Distanz als vor 30 Jahren, die Leidenschaft, die Faszination für das Unerwartete und manchmal Unergründliche, die Lust am Entdecken sind geblieben. Im Lauf der Jahre haben sich verschiedene Sammlungsschwerpunkte entwickelt, Malerei, Fotografie und Zeichnung, von teilweise sehr bekannten und auch von eher weniger bekannten Künstlern.

Er male, um zu entdecken, sagt Anselm Kiefer über sich. Zwei seiner düsteren, Mythologie und Geschichte, Gedichte und Mathematik verbindenden Arbeiten sind in der Ausstellung zu sehen, darunter „Velimir Chlebnikov, Lehre vom Krieg, Seeschlachten wiederholen sich alle 317 Jahre“ aus dem Jahr 2005. Ausgestellt sind sie im selben Raum wie die titelgebende Installation von Anna Oppermann und das im Jahr 2011 entstandene Gemälde „Riots. Heimat 02“ des 1981 geborenen Florian Heinke. Alle drei arbeiten mit mehreren einander durchdringenden und sich überlagernden Bedeutungsebenen und implizieren, dass die Welt ausgefüllt ist von Beziehungen, die sich nicht immer auf den ersten Blick offenbaren.

Europaweit einzigartig in einer Privatsammlung ist der Werkblock des 1945 in Dublin geborenen Sean Scully. Die Sammlung zeichnet seine Entwicklung von 1973 bis heute nach, das jüngste Bild, der „Block Blue“, stammt von 2016. Scully malt in Gittern und Schichten, verdichtet und strukturiert, jetzt freier als früher, seine Farbklänge sind aber noch immer höchst emotional. Scully zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart und er ist überzeugt, dass Kunst die Macht hat, das Leben zu erschließen.

Geschickt wird in der Ausstellung zusammengefasst und zusammengebracht, die Arbeiten stehen im Kontext zueinander oder fügen sich zu bereichernden Kontrasten quer durch drei Stockwerke. Zehn Arbeiten von Scully stehen etwa zwei ins Dreidimensionale gewachsenen „Farbkörpern“ von Gotthard Graubner von 1993 gegenüber.

Maler und Fotografen schaffen nicht selten gleichermaßen Illusionen, brechen Grenzen auf, erzählen Geschichten, spielen mit Licht, inszenieren Irritationen. In der Ausstellung zu sehen sind etwa Arbeiten von Karin Kneffel (Deutschland), Gottfried Helnwein (Österreich), Tracey Moffatt (Australien), Gregory Crewdson (USA) und Kohei Yoshiyuki (Japan). Voyeuristische Aspekte des Beobachtens zeigen Kneffel und Yoshiyuki, letzterer fotografierte Liebespärchen beobachtende Spanner in Parks mit einer Infrarotkamera. Crewdson malt Menschen in irritierenden Situationen, Gottfried Helnwein fokussiert in seinen Bildern Menschen und ein rätselhaftes Gegenüber, in einem Treffen mit offensichtlich konspirativem Charakter sitzen in „Dark Hour“ von 2003 drei Männer an einem Tisch dem ewig grinsenden Donald Duck gegenüber. Moffat inszeniert in ihren Fotografien Gegensätze, Klischees und geplatzte, teuer bezahlte Träume. Auch die im Iran geborene und in den USA lebende Fotografin Shirin Neshat inszeniert eine irritierende Realität. Grandios und voller Sinnlichkeit ist die im Jahr 2005 entstandene Fotografie „Real Gabinete Português de Leitura Rio de Janeiro IV“ von Candida Höfer.

Zeichnungen können auch dreidimensional sein: Chiharu Shiota wurde 1972 in Osaka (Japan) geboren, in der Videoarbeit „Wall“ von 2010 liegt eine junge Frau nackt am Boden, jeder Herzschlag füllt die sie wie ein Netz umschlingenden Schläuche mit mehr Blut. Vergangenheit, Abwesenheit und Unwiederbringlichkeit fokussiert sie in der Installation „Trauma / Alltag (Lady Dress)“. Ein erstarrtes, einst von ihr getragenes weißes Kleid ist eingesponnen in ein dichtes Netz schwarzer Fäden, unerreichbar, nur noch Vergangenheit.

Der frühere Unternehmer Peter W. Klein sagte über sich, erst durch die Kunst sei er wieder Mensch geworden. Die Schau zeigt einen kleinen Ausschnitt seiner großartigen Sammlung. In ihr spiegeln sich verschiedene Denk- und Sichtweisen und ein hinterfragender Blick auf Politik, Geschichte, Gesellschaft, Normen und auf das Leben selbst.

Bis 5.11., Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, freitags 10 bis 21 Uhr. Ermöglicht durch das Sammlerehepaar Klein ist der Eintritt freitags ab 18 Uhr, samstags und sonntags ganztägig kostenfrei. Katalog: 25 Euro.

Weitere Informationen: www.kunstmuseum-stuttgart.de