Der 43-jährige Christian Holtzhauer leitet ab September 2018 die Schauspielsparte des Nationaltheaters Mannheim. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Weimar - Als Christian Holtzhauer 2014 die künstlerische Leitung des Kunstfests Weimar von Nike Wagner übernahm, waren viele skeptisch. Inzwischen steuert der ehemalige Stuttgarter Schauspieldramaturg auf Erfolgskurs. Mit mehr als 33 000 Zuschauern war die Festivalauflage 2017 eine der erfolgreichsten in der Geschichte. Offenbar funktioniert sein Konzept, hochklassige internationale Gastspiele und Stadtraumprojekte zu verknüpfen. Kommendes Jahr bricht Holtzhauer zu neuen Ufern auf. Ab September 2018 leitet der 43-Jährige das Schauspiel des Nationaltheaters Mannheim - als Nachfolger von Burkhard C. Kosminski, der als Schauspielchef ans Stuttgarter Staatstheater wechselt und dort Armin Petras ablöst.

Anfangs gab es Kritik an der Neuausrichtung des Kunstfests Weimar und an Ihrem Konzept, das Festival neuen Publikumsschichten zu öffnen. Die Zuschauerzahlen in diesem Jahr zeigen aber deutlich, dass das Konzept inzwischen aufgeht. Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Holtzhauer: Das ist einerseits das Ergebnis der Aufbauarbeit, die wir geleistet haben, insbesondere der intensiven Kommunikation mit unserem lokalen Publikum. Andererseits liegt das auch am Themenschwerpunkt „100 Jahre Kommunismus“. Man spürt, dass die Menschen hier in Thüringen eine große Lust, aber auch das Bedürfnis haben, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Mich freut, dass sich nicht nur ältere Menschen und „Ossis“ angesprochen gefühlt haben. Auch junge Zuschauer haben wir erreicht. Viele Besucher sind auch aus den alten Bundesländern angereist, um mehr darüber zu erfahren, was hier vor 30 Jahren zu Ende ging. Das ist ja ein Stück Weltgeschichte.

Dennoch war die Themensetzung ein Wagnis. Angesichts der weltpolitischen Lage könnte man ja durchaus fragen: Kommunismus - wen interessiert das heute noch?

Holtzhauer: Das war ein totales Wagnis. Die Frage, wen und ob dieses Thema noch interessiert, haben wir uns auch gestellt. Natürlich könnte man es als Koketterie betrachten, mit so einem Thema zu operieren. Aber wir wollten herausfinden, wie die kommunistische Epoche das Leben der Menschen und ihren Alltag geprägt hat. Da geht es um Spurensuche.

Sie hatten diesmal besonders viele Formate jenseits der Theatersäle im Programm - die Bahnreise „Bewegtes Land“, das Kolonialismus-Projekt „Chinafrika Mobile“ und den Audio-Rundgang „Ein Gespenst geht um“. Was reizt Sie da?

Holtzhauer: Raus wollte ich ja schon immer. Ich versuche, meinen Zuschauern Seherfahrungen zu ermöglichen, die sie andernorts nicht machen können. Ich sehe es als Aufgabe eines Festivals an, einerseits internationale Gastspiele zu holen und zugleich zeitgenössische Theater-Formate zu präsentieren. In „Camera Obscura“ etwa beginnt sich das Verhältnis von Zuschauer und Schauspieler aufzulösen. Bei „Chinafrika Mobile“ war es uns wichtig, tatsächlich in die Zukunft des Kapitals zu schauen und zu untersuchen, wo die neuen Konfliktherde des Kapitalismus entstehen. Die noch jungen ökonomischen Beziehungen zwischen China und Afrika sind dafür ein gutes Beispiel.

Das nächste Kunstfest wird Ihr Letztes sein, denn ab 2018 lösen Sie den künftigen Stuttgarter Schauspielchef Burkhard C. Kosminski als Schauspielintendant am Nationaltheater Mannheim ab. Was reizt Sie an dieser Stadt und an diesem Theater?

Holtzhauer: Für mich bündeln sich in Mannheim viele Fragen, die unsere Gesellschaft als Ganzes umtreiben. Das hat viel mit der Diversität zu tun - da leben sehr viele Menschen mit unterschiedlichem ethnischem und kulturellem Hintergrund. Das geht mit Spannungen einher. Und es führt zu der Frage, wie man angesichts einer solchen Vielheit Stadtgesellschaft überhaupt noch gestalten kann. Da möchte ich als Theatermacher herausfinden, wo die Interessen und Themen, aber auch die neuralgischen Punkte liegen. Und in der Industriestadt Mannheim interessiert mich natürlich die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Als Hafenstadt und Verkehrsknotenpunkt in der Nähe zu Frankreich drängt sich auch das Nachdenken über die Zukunft Europas auf. Das ist ein sehr spannendes Pflaster.

Mit vier Intendanten, die ihre Sparten eigenständig leiten, bietet das Nationaltheater auch strukturell eine spannende Konstellation. Planen Sie Kooperationen?

Holtzhauer: Vor allem mit Ulrike Stöck vom Kinder- und Jugendtheater Schnawwl rede ich über gemeinsame Produktionen. Und auch mit Operndirektor Albrecht Puhlmann sind Projekte geplant. Die Chance eines Hauses mit vier autonomen Sparten liegt ja darin, dass man nicht alleine vor sich hinwurstelt, sondern dass man die Kräfte bündelt. Offenheit, Durchlässigkeit und das Denken in Netzwerken sind mir wichtig. Sowohl im Haus als auch in der Stadt will ich nach Kooperationspartnern suchen. Nur so kann es uns gelingen, die Vielfalt der Stadtgesellschaft im Theater abzubilden.

Wie sieht Ihr Konzept für die Spielplangestaltung aus?

Holtzhauer: Natürlich bin ich mit einem Konzept angetreten. Aber vor allem will ich mit wachen Augen und Ohren durch die Stadt gehen und herausfinden, was die Menschen bewegt. Das setzt große Neugier voraus. Mir ist es wichtig, neue Zuschauerschichten zu gewinnen. Wie kann es gelingen, möglichst große Schnittmengen zwischen den verschiedenen möglichen Zuschauergruppen zu finden? Das ist eine Frage, auf die ich keine vorgefertigte Antwort habe. Das müssen wir gemeinsam in der künstlerischen Arbeit herausfinden.

Was soll also anders werden am Nationaltheater?

Holtzhauer: Ich finde es wichtig, dass wir einen deutlichen Neustart markieren. Wir möchten uns viel stärker in die Stadt hinein öffnen. Das wollen wir mit einem spielfreudigen Ensemble erreichen, das Lust hat, sich auf viele neue Theaterformate einzulassen. Und ohne die Verdienste des bisherigen Teams um die neue Dramatik schmälern zu wollen - ich finde es wichtig, eine größere Bandbreite an Texten vorkommen zu lassen, bis hin zur Antike. Die antiken Tragödien sind ja der Beginn des europäischen Theaters. Zugleich beschreiben sie die Entstehung der europäischen Stadt - ein Modell des Zusammenlebens, das bis heute in seinen Grundlagen Gültigkeit hat. An dieser Verbindung von Theater und Stadt will auch ich arbeiten.

Das Interview führte Elisabeth Maier.

zur person

Christian Holtzhauer ist 1974 in Leipzig geboren. Nach dem Studium der Musik- und Theaterwissenschaft in Berlin und Toronto war er von 2001 bis 2004 gemeinsam mit Amelie Deuflhard für das künstlerische Programm der Berliner Sophiensaele verantwortlich. Von 2005 bis 2013 arbeitete er als Dramaturg und Projektleiter am Staatstheater Stuttgart. Seit dem 1. Oktober 2013 ist er Künstlerischer Leiter des Kunstfests Weimar. Von 2011 bis 2017 war er Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft. Ab 2018 leitet er das Mannheimer Schauspiel.