Standtheater mit Großbildern: Fotograf Sebastian von Eschburg (Philip Wilhelmi, Zweiter von rechts) soll einen Mord begangen haben. Links Barbara Lanz als seine Freundin Sofia, rechts Kai Maertens als sein Anwalt, dazwischen Tina Eberhardt und Udo Rau. Foto: T. Metz - T. Metz

Die Regisseurin Eva Hosemann kann die recht verkopfte Kriminalgeschichte um einen Mord, der keiner war, nicht retten. In den unzähligen Rückblenden und ermüdenden Dialogen setzt nur Kai Maertens als Verteidiger des Angeklagten lebhaftere Akzente.

StuttgartEine Frau ist ermordet worden. Aber es gibt keine Leiche. Der Starfotograf Sebastian von Eschburg gerät unter Verdacht und wird verhaftet. Ein Polizist nötigt ihm unter Androhung von Folter ein Geständnis ab. Es kommt zur Gerichtsverhandlung. Soweit der Plot von Ferdinand von Schirachs Roman „Tabu“. Eva Hosemann, Ex-Rampe-Chefin und designierte Intendantin der Burgfestspiele Jagsthausen, adaptierte die blutleere Kriminalgeschichte für die Bühne. Jetzt hatte das Stück – auch als Auftakt zu den Stuttgarter Kriminächten – im Alten Schauspielhaus Premiere.

Die verkopfte Mordgeschichte dient lediglich als Aufhänger für gebrauchsphilosophische Betrachtungen über Wahrheit und Schönheit in Sätzen mit dem Charme von Kalenderblattweisheiten. Da ist gleich zu Beginn Staatsanwältin Landau, die den Polizisten zurechtweist, der mit selbstherrlichen Entscheidungen das Unrecht besiegen will: „Wir gewinnen nicht, Wir verlieren nicht. Wir tun unsere Arbeit.“ Ein tragischer Held, der gegen die Rechtsordnung verstoßen hat, wie einst der Frankfurter Polizeivizepräsident im Entführungs- und Mordfall Magnus Gäfgen. Der Autor Ferdinand von Schirach kennt sich als Strafverteidiger mit der Materie aus. Es folgen langwierige Erörterungen, ob das erpresste Geständnis vor Gericht verwertet werden kann.

Ermüdende Dialoge

In unzähligen Rückblenden und ermüdenden Dialogen wird die verschachtelte Geschichte um den Mord ohne Leiche aufgerollt. Die Frage nach dem Motiv stellt sich erst gar nicht. Sebastian von Eschburg ist, wie der Autor selbst, Synästhetiker, das heißt, er nimmt äußere Reize über mehrere Sinne wahr. Farben haben für ihn eine besondere Bedeutung: Buchstaben und Zahlen können farbig sein, Geräusche und Töne können Geschmack haben. Wechselnde Lichtprojektionen zeigen das sehr schön auf der schlichten Bühne von Stephan Bruckmeier. Mit dem „Sinnesrausch“ geschlagen, musste Eschburg als Junge obendrein mitansehen, wie sich sein alkoholkranker Vater erschießt. Die gefühlskalte Mutter verkauft Haus und Hof und nimmt sich einen Geliebten. Dessen prolliges Verhalten steht diametral zum feingeistigen Wesen des jungen Mannes, der immer seltsamer wird.

Eschburg wird schließlich Fotograf und genießt großes Ansehen für seine erschreckend ungeschönten Portraits, die im beeindruckenden Großformat auf der drehbaren Bühnenrückwand zu sehen sind. Fotografieren beruhigt seinen Kopf, lässt er die schöne Sofia wissen. Die beiden werden ein merkwürdiges Paar. Irgendwann verlässt sie ihn, was nachvollziehbar ist, hört man Dialoge wie: „Geh nicht“, sagt sie. „Es ist kompliziert“, antwortet er. „Das ist es doch immer.“

Mit Anwalt Biegler wird’s bunter. Der Strafverteidiger ist ein schillernder Vogel, der Natur hasst und froh ist, der Reha im ungeliebten Südtirol durch den Auftrag, Eschburg zu verteidigen, entfliehen zu können. Der Mann hat Witz und Weisheit. Er fördert eine Nachbarin Eschburg zutage, die es gar nicht gibt, und eine Halbschwester, die vielleicht tot ist, tatsächlich aber in einem schottischen Internat lebt. „Ich warte immer noch auf die Erkenntnis“, sagt Biegler. Als Zuschauer pflichtet man ihm bei. TV-Star Kai Maertens füllt seinen unkonventionellen Anwalt mit so viel Esprit und Humor aus, dass man fast schon versöhnt ist mit dem sinnlosen Geschwafel um Kunst und Schönheit, Täuschung, Recht und Würde. Wie erfrischend wirkt dagegen Bieglers Aal-Geschichte, die auch noch den Tatsachen entspricht.

Im autistischen Korsett

Sonst bleibt es statisch. Auf der Bühne ist kaum Bewegung, was allerdings bei Eschburg seine Berechtigung hat. Philip Wilhelmi tritt im autistischen Korsett wie mit angezogener Handbremse auf. Er ist ein verstörter Künstler, ohne Realitätsbezug, in sich selbst gefangen. Beim übrigen Personal hätte man sich mehr Freiraum gewünscht. Vor allem bei Barbara Lanz’ munterer Sofia. Aber auch ihr gestattet Regisseurin Hosemann nur wenig Aktion. Einen darstellerischen Spagat macht Tina Eberhardt, die Staatsanwältin, Mutter, Touristin, Kundin und Wirtin in Personalunion ist. Köstlich Uwe-Peter Spinner als ihr Lover mit 70er-Jahre Rockmusikerfrisur und abgeschnittenen Hosenbeinen, der sich in vollendeter Selbstüberschätzung „der Macher“ nennt. Er spielt außerdem einen Polizisten und einen Touristen.

Vor Gericht löst Eschburg das Rätsel um den Mord, jede Farbe verschwindet: die Grüntöne der Jugend, das Blau. Es gibt nur noch Weiß. Alles war inszeniert. Das Bildnis der verschwundenen jungen Frau entstand durch fotografische Überlagerung verschiedener Gesichter. Eschburg war wegen Mordes angeklagt – an seiner eigenen Kunst-Installation. Ein Mordsaufwand – wofür?, fragt Anwalt Biegler, der am Ende den schönsten Satz des Abends sagt: „Vielleicht werde ich es irgendwann verstehen; jetzt bin ich zu müde“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Vorstellungen bis 20. April.