Fotografie ohne Titel von Wolfgang Gäfgen aus den 90er-Jahren. Foto: Kunstverein - Kunstverein

Der Kunstverein Esslingen stellt in seiner Gastausstellung in der Villa Merkel das Schaffen Wolfgang Gäfgens und „Design made in Esslingen“ vor.

EsslingenStillleben in Nahsicht, beunruhigend ausgeleuchtet wie zu sichernde Tatorte in einem Film noir: Die fast ausnahmslos in Schwarz-Weiß aufgenommenen Fotografien haben es in sich. Sie zeigen Alltägliches in surrealer Anordnung: Zerknitterte Alufolie erhebt sich zwischen Besteck, eine mundgeblasene Glaskugel schwebt über Porzellanscherben, abgebrochene Kristallfüße reihen sich in rhythmischer Ordnung. Die variierte Anordnung von Stühlen lässt sich als Metapher für die Zustände einer Paarbeziehung lesen. Auf den ersten Blick wirken diese Lichtbilder wie ein eigener Kosmos im Werk von Wolfgang Gäfgen. Mit ihrer streng inszenierten Finsternis heben sie sich ab von den meist hellen, luftigen Zeichnungen und Holzdrucken, für die der gebürtige Hamburger besser bekannt ist. Und doch nähert sich auch hier der Künstler über den Gegenstand der Welt.

Mit „Wolfgang Gäfgen – Holzdrucke, Zeichnungen, Lichtbilder“ gibt der Esslinger Kunstverein in seiner Gastausstellung in der Villa Merkel erstmals einen Überblick über das vielfältige Schaffen des 82-Jährigen, der sein Atelier über ein halbes Jahrhundert hinweg in Paris hatte und von 1983 bis 2002 Professor für freie Zeichnung und Malerei an der Stuttgarter Kunstakademie war. Ergänzt werden Gäfgens Arbeiten durch „Design Made in Esslingen“: Möbel und Produkte von Egon Eiermann, Herbert Hirsche und Hans Erich Slany, präsentiert als Ausstellung in der Ausstellung. Da auf Gäfgens Grafik auch Regale oder Schirmlampen im Stil der klassischen Moderne auftauchen, fügen sich diese formvollendeten Gebrauchsobjekte nahtlos ins Gesamtbild.

Für die Eingangshalle hat Kurator Christian Gögger unter anderem zehn gerahmte Papierschnitte ausgewählt, die in ihrem strengen Schwarz-Weiß-Kontrast reizvoll mit den grauschwarzen Säulen und dem farblos gemusterten Fußboden im hellen Saal korrespondieren. Gewitzt changieren die Scherenschnitte zwischen dem Gegenständlichen und Abstrakten. Da gibt es Formen, die an Hände und Köpfe erinnern und ganz entfernt sogar an Märchenszenen der Scherenschnitt-Ikone Johanna Beckmann. Zugleich gibt sich Gäfgen auch hier als Zeichner zu erkennen. So hat er einige weiße, auf schwarzes Tonpapier geklebte Papierstreifen teilweise wieder abgerissen, so dass die Reste wie lebendige Kreidelinien wirken. Oder er schneidet das Papier zu so schmalen Stegen, dass sie als bewegte Tuschelinien erscheinen.

Dieses Suchen nach der richtigen Balance zwischen reiner Form und narrativem Inhalt findet sich auch in Gäfgens Zeichnungen und beeindruckend großformatigen Holzdrucken. Wiederkehrende Motive wie Kugeln, Figurinen, fein gezeichnete Faltenwürfe und Juwelen setzt er in Kontrast zu freien, gestischen Linien und abstrakten Formen. Auf diese Weise hält Gäfgen den Assoziationsraum der Betrachter offen und gibt ihren Blicken dennoch Nahrung und Anhaltspunkte zum Weiterdenken.

Eine erst in diesem Jahr entstandene Zeichnung ohne Titel ist dafür das wohl radikalste Beispiel. Sie wird beherrscht von einem raumgreifenden Liniengespinst in Kobaltblau. Erst auf den zweiten Blick nimmt man die blassblau und fast altmeisterlich gezeichneten Gestänge wahr und ein aufgefaltetes Stoffband am unteren Bildrand. Wie bei einem Kulturschock prallen hier zwei Epochen und Ideale aufeinander, unter anderem der Umgang mit der Zeit. Und so lernt man Gäfgen als einen Künstler kennen, der die grafische Tradition mit dem Tempo und dem Duktus der Gegenwart zu verbinden weiß.

Bis 21. Oktober. Öffnungszeiten: dienstags von 11 bis 20 Uhr, mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.