Javier Marías im Jahr 2006 Foto: dpa/Jens Kalaene

Der am Sonntag verstorbene spanische Erfolgsautor Javier Marías war einer der bekanntesten und erfolgreichsten spanischen Schriftsteller der Gegenwart. Auch in Deutschland hatte er Millionen Leser.

Noch zu seinem 70. Geburtstag vor fast einem Jahr war Javier Marías so kritisch und streitbar wie eh und je. Der Mann, der zu den bedeutendsten und erfolgreichsten spanischen Schriftstellern der Gegenwart zählt und in Deutschland viele Fans hat, war nach Einschätzung mancher Kritiker in literarischer Höchstform. Sein letztes Buch, der im Frühjahr 2021 in Spanien veröffentlichte Spionageroman „Tomás Nevinson“, sei wohl Marías’ bestes Werk überhaupt, urteilte damals der Literaturkritiker José Carlos Mainer. Ab diesem Herbst liegt der Roman auch in deutscher Übersetzung im Fischer Verlag vor.

Dabei galt der unbequeme Denker lange als schwer verkäuflich, auch in Deutschland. Bis „Mein Herz so weiß“ im Sommer 1996, rund vier Jahre nach dem Erscheinen der spanischen Fassung, in der TV-Sendung „Das literarische Quartett“ unisono mit Lob überschüttet wurde. Der 2013 verstorbene „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki sprach von einem „genialen Buch“ und dem „größten im Augenblick lebenden Schriftsteller der Welt“. Der Roman eroberte nach der Sendung und weiteren positiven Kritiken die Bestsellerlisten und verkaufte sich allein in der deutschen Übersetzung 1,2 Millionen Mal.

Kettenraucher und Spätaufsteher

Marías, der Mitglied der Königlich Spanischen Akademie war, freute sich über den Erfolg in Deutschland, wollte aber auch eine kritische Distanz wahren. „Ich bin nicht gut, weil die Deutschen oder andere es sagen.“ Es gebe ja Schriftsteller, deren Bücher „nur ein paar tausend Mal verkauft wurden und in die Geschichte eingegangen sind“, betonte er vor einem Jahr.

Die 16 Romane von Marías wurden nach Angaben seines Verlages Alfaguara in 46 Sprachen übersetzt und insgesamt mehr als neun Millionen Mal verkauft. Der Autor gehört zu den „ewigen Nobelpreiskandidaten“. Er wird von so namhaften Kollegen wie Orhan Pamuk und J. M. Coetzee in den Himmel gelobt. Dabei räumte der Kettenraucher und Spätaufsteher unumwunden ein, er werde stets von „enormer Unsicherheit“ geplagt, wenn er in seiner Wohnung voller Bücher im Zentrum von Madrid ein neues Werk beginne.

Marías schrieb nicht am Computer, sondern an der Schreibmaschine

Je älter er werde, desto weniger verstehe er, „wie Romane gemacht werden“, sagte Marías vor einem Jahr. Während das leere weiße Blatt – Marías verabscheute Computer und tippte stets an der Schreibmaschine – ihm Unbehagen bereitete, verursachte das fertige Werk dem Literaturhistoriker und Hochschullehrer oft Verdruss. „Alle meine Romane erscheinen mir unmittelbar nach der Vollendung schlecht. Ich würde oft am liebsten alle Seiten in den Papierkorb werfen“, erzählte er damals.

Marías ging nicht nur mit sich selbst hart ins Gericht. In seiner Kolumne für die Zeitung „El País“ zog er über vieles und viele schonungslos her. Über autoritäre Regierungschefs aller Couleur klagte er etwa: „Wir leben in einer Zeit voller berühmter Dummköpfe.“

Der Mann, der seinen Erzählungen nach mit elf mit dem Schreiben begann und sich in seiner Jugend in Paris als Straßensänger durchschlug, war immer auch ein Rebell im Literaturbetrieb. Er gewährte äußerst selten Interviews, lehnte Auszeichnungen staatlicher Stellen in Spanien ab und nahm auch keine Vorauszahlungen an. „Ich würde meine Freiheit verlieren. Und ein Buch, das nicht gelungen ist, nicht in die Schublade stecken können“, sagte er zur Begründung.

Kind eines Philosophen und Franco-Gegners

Der Autor war das zweitjüngste von fünf Kindern von Julián Marías. Der bekannte Philosoph (1914-2005) saß als Gegner der Franco-Diktatur lange hinter Gittern und musste Mitte der 1950er Jahre für einige Zeit in die USA auswandern. Javier Marías wuchs zweisprachig auf. Sein erstes Geld verdiente er sich als Kind nicht nur mit Kurzauftritten in Filmen seines Onkels Jesús Franco, sondern auch als Übersetzer. In den 1980er Jahren unterrichtete er an der Oxford-Universität. Die Erlebnisse in Großbritannien arbeitete er im Roman „Alle Seelen oder die Irren von Oxford“ (1989) auf.

Marías’ Werk umfasst nicht nur Romane, Essays, Kolumnen und Erzählungen, sondern auch viele Übersetzungen aus dem Englischen. Zu den literarischen Markenzeichen des begeisterten Anhängers des Fußball-Clubs Real Madrid gehörten die präzise Sprache, die Mischung aus Wirklichkeit und Fiktion sowie die weit ausgreifenden Sätze. Er setzte sich vor allem mit Themen wie Verrat, Liebe und Begierde auseinander.

Marías, der in den 1980er Jahren als „Erneuerer“ der spanischen Literatur gefeiert wurde, sagte einmal, Schreiben sei ja im Grunde „anormal und komisch“. Das habe er in „Die sterblich Verliebten“ (2011) beschrieben. Eine Verlagsangestellte stelle in dem Roman durch den täglichen Kontakt mit Autoren fest, so Marías, „wie lästig, blöd und eingebildet wir (Schriftsteller) sind“.