Schmelzende Gletscher: Messstelle am Corvatsch im Engadin, Kanton Graubünden. Foto: WSL-Instit/Matthias Lichtenegger/dpa

Der Klimawandel verändert die Alpen rasant, mit hohen Temperaturen und wenig Schnee. Eine fehlende Schneedecke zu Beginn des Winters hat allerdings auch ihr Gutes: für den Permafrost. Den setzt die Erderwämung mächtig unter Druck.

Nach zwei Jahren mit wenig Schnee und heißen Sommern geht der Permafrost in der Schweiz vielerorts weiter zurück. Die Zeitspanne von Oktober 2022 bis September 2023 sei die wärmste Zwölfmonatsperiode seit Beginn der Messungen 1864 gewesen, hat die Schweizer Akademie der Wissenschaften am Donnerstag (6. Juni) in Bern mitgeteilt.

Seit Oktober 2022 sei es außergewöhnlich warm gewesen, mit Lufttemperaturen von 1,5 bis 1,9 Grad über dem langjährigen Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2010. Dazu sei ein später Wintereinbruch in den hohen Lagen gekommen und weniger Schnee als im Durchschnitt vergangener Jahre, heißt es.

Als Permafrost wird Untergrundmaterial wie Fels oder Schutt bezeichnet, das über mehrere Jahre nie über null Grad warm wird.

Auch 2024 reicht an Negativrekorde heran

Es geht bei diesen Betrachtungen immer um das „hydrologische“ Jahr, das von Oktober bis September des Folgejahres dauert - dies, um eine bessere Bilanz von Niederschlägen ziehen zu können. Regen und Schnee von Oktober über den Winter fließen großteils erst im Folgejahr als Schmelzwasser wieder ab.

Zum laufenden hydrologischen Jahr gibt es noch keine Bilanz, weil es noch bis September 2024 dauert. Klar sei aber jetzt schon, dass die Auftauschicht in den Schweizer Permafrost-Gebieten im Sommer 2023 die Rekordwerte des vorangegangenen Jahres wieder erreichten oder nahe daran lagen, so die Schweizer Akademie der Wissenschaften.

Hier einige Beispiele:

  • Am Schilthorn in den Berner Alpen war die Auftauschicht mit über 13 Metern im Jahr 2023 etwa dreimal so dick wie vor 20 Jahren.
  • An vielen Standorten taute der Permafrost bis in größere Tiefen.
  • Am Blockgletscher Schafberg oberhalb von Pontresina waren es einige Dezimeter.
  • Am Stockhorn oberhalb von Zermatt zum Beispiel plus zwei Meter.

Fehlender Schnee bei Winterstart gut für Permafrost

Nach dem Hitzesommer 2022 wurden an vielen Stationen des Schweizer Permafrost-Messnetztes PERMOS rekordhohe Oberflächentemperaturen erreicht. Sie übertrafen die Höchstwerte aus den Jahren 2003, 2015 und 2019, wie es weiter heißt. Weil die Bodenoberfläche wegen der fehlenden isolierenden Schneedecke im Winter deutlich abkühlte, erreichten die vorher hohen Oberflächentemperaturen die größeren Tiefen erst einige Monate verzögert und gedämpft.

Insofern sei mangelnder Schnee zu Beginn des Winters für den Permafrost ein Segen, sagt Jeannette Nötzli, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schnee und Lawinenforschung (SLF) in Davos. Dann könne der Boden besser abkühlen.

Im Herbst 2023 habe eine frühe Schneedecke in den hohen Lagen die Wärme dagegen im Boden gespeichert. „Dies führte zu sehr hohen winterlichen Temperaturen in den obersten Metern des Bodens, die in den kommenden Monaten weiter in die Tiefe geleitet werden“, so die Akademie.

Das Undenkbare denken

  • Extremwetter: Es gibt aus der Vergangenheit kaum Erfahrungen mit extremen meteorologischen Ereignissen wie Trockenheit und Starkniederschlägen. „Wir müssen auch versuchen, das Undenkbare zu denken, um auf plausible aber höchst unwahrscheinliche schlimmste Szenarien vorbereitet zu sein, ohne aber zu alarmistisch zu wirken“, betont Nadine Salzmann von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
  • Gletschersterben: Überall schwindet Eis, und mangels Schnee bekommen die Gebirgsgletscher zu wenig Nachschub. Aus Sicht der Weltwetterorganisation (WMO) ist der Kampf um Gebirgsgletscher schon verloren. Sie dürften bis Ende des Jahrhunderts verschwunden sein, sagt ihr Chef Petteri Taalas. Die Schweizer Gletscher haben zwischen 1931 und 2016 die Hälfte ihres Volumens verloren. 2022 und 2023 waren dann Extremjahre. Das Gletschervolumen schrumpfte nach Angaben der Schweizerischen Kommission für Kryosphärenbeobachtung um weitere zehn Prozent.
Sustengletscher mit Gletscherrandsee in der Schweiz. Foto: Imago/Manuel Geisser
  • Felsstürze: Hochgebirge werden vom Permafrost zusammengehalten, der dafür sorgt, dass das Gestein ganzjährig gefroren ist. Der Permafrost taut, und das Gebirge wird instabiler. Beim Schweizer Alpen-Club SAC heißt es, dass früher oft gegangene Touren heute im Sommer „Todesfallen“ seien. Loses Geröll und abgerutschte Blöcke „so groß wie Einfamilienhäuser“ machten das Gelände zu gefährlich.