Corona war und ist für viele Kinder und Jugendliche eine große seelische Belastung. Nicht alle kommen damit selber gut zurecht. Foto: dpa/Fabian Sommer

Seit der Coronapandemie ist es offenkundig: Es gibt zu wenige Plätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Land. Nun werden diese aufgestockt, auch in Stuttgart. Doch wohin mit den zusätzlichen Betten?

Die Coronapandemie hat manche bestehenden Probleme verschärft und erst richtig deutlich gemacht. Das gilt auch für den unzureichenden Versorgungsgrad in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Baden-Württemberg. Dass hier nun vom Land nachgebessert wird, forciert in Stuttgart die Debatte über eine Erweiterung der Psychiatrie in Bad Cannstatt.

Es ist sattsam bekannt, dass die Beschränkungen der Coronapandemie Kindern und Jugendlichen stark zugesetzt haben. So haben nach Studien, um nur ein Beispiel zu nennen, die depressiven Symptome deutlich zugenommen, bei Jungen um etwa 15 Prozent, bei Mädchen sogar um 35 Prozent. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben laut dem städtischen Klinikum von 2020 auf 2021 die stationären Behandlungen wegen psychischer Erkrankungen bei den Zwölf- bis 18-Jährigen um 42 Prozent zugenommen, bei den Fünf- bis Neunjährigen sind die stationären Aufenthalte wegen „schwerer Störungen sozialer Funktionen“ um 36 Prozent gestiegen.

Ratsfraktionen machen Druck

Die Warteliste ist lang, wie in Einrichtungen anderer Träger auch. Auch das war vor der Coronapandemie schon so. Im Klinikum hat man ausgerechnet, dass man bei der Bettenkapazität der Kinder- und Jugendpsychiatrie nur 57 Prozent des Bundesschnitts erreiche, dabei liege man im Zentrum eines Ballungsraums, wo der Bedarf an Psychiatriekapazität üblicherweise deutlich höher liege als etwa in ländlichen Gebieten.

Weil das so ist, haben die Ratsfraktionen von FDP, SPD, Grünen, CDU, Linksbündnis, Puls und Freien Wählern in einem interfraktionellen Antrag bereits Ende Februar gefordert: „Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen brauchen zeitnahe Unterstützung!“ In Kürze wird nun das Land entscheiden, wie die insgesamt 120 zusätzlichen Betten in diesem Bereich verteilt werden. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Esslingen rechnet mit weiteren sechs stationären Plätzen zu ihren 30 vorhandenen. In Stuttgart könnte das Plus, derzeit hat man insgesamt 49 Planbetten, sogar bei bis zu 33 weiteren Plätzen liegen. So viele sind jedenfalls in einer Präsentation von Jan Steffen Jürgensen aufgeführt, die der Medizinische Vorstand des Klinikums für den Rat erstellt hat.

Mehr Betten, aber keine neuen Gebäude

Nur: Wo soll man diese dringend benötigten Betten aufstellen? Schon jetzt platzt die Psychiatrie des Klinikums aus allen Nähten. Nicht nur der jetzt durch Corona entstandene Sonderbedarf muss räumlich bewältigt werden. In den vergangenen zehn Jahren seien wegen der wachsenden Beanspruchung Schritt für Schritt vom Land mehr Plätze für die Psychiatrie insgesamt bewilligt worden, in Summe „mehr als 40 Betten“, sagt Jan Steffen Jürgensen. Für diese aber sei „baulich nichts neu errichtet worden“, erklärt der Klinikum-Vorstand. Stattdessen habe man die Belegung der bestehenden Gebäude weiter verdichtet. „Wir haben da eine Lücke, da müssen wir uns ehrlich machen“, so Jürgensen.

Notlösung in der Hasenbergstraße

Dabei ist man, was die Kinder- und Jugendpsychiatrie angeht, mit den Verhältnissen am Standort Hasenbergstraße, wo 28 der 49 Betten angesiedelt sind, schon länger unzufrieden. Nun sieht es aber danach aus, dass man die zusätzlichen Betten für eine Übergangszeit eben dort im Stuttgarter Westen wird ansiedeln müssen. Die mögliche Lösung, die Jan Steffen Jürgensen nennt, könnte so aussehen: Die Flächen, wo sich dort heute die psychiatrische Ambulanz befindet, wird für die Schule für kranke Kinder genutzt, deren heutiger Bereich dann zu Patientenzimmern umgewandelt werden, die Ambulanz würde in diesem Konzept an den Klinikstandort Mitte wandern.

Angesichts dieser Notlösung kommt ein schon vor einigen Jahren ins Auge gefasster, aber vor sich hin dümpelnder Plan wieder auf die Tagesordnung: die Erweiterung der noch recht neuen Psychiatrie in Bad Cannstatt auf einer für diesen Zweck vorgesehenen Freifläche. Dort könnte man dann die komplette Kinder- und Jugendpsychiatrie konzentrieren, der bisherige Standort Hasenbergstraße könnte aufgegeben werden.

Auch ein Erweiterungsbau braucht Jahre

Das alles muss aber noch mit dem Land geklärt und auch im Gemeinderat debattiert werden. Schnell ist auch diese Lösung nicht zu haben. Zwar schwebt Jan Steffen Jürgensen eine zügige Modulbauweise vor, wie man sie bei den Personalwohnungen praktiziert, die schon bald fertig sein werden. Dennoch würde die Psychiatrie-Erweiterung noch einige Jahre auf sich warten lassen. Dabei wird der Druck auf die Psychiatrien angesichts der jüngsten schweren Krise womöglich noch weiter zunehmen. Der Ukraine-Krieg verunsichert viele Menschen, löst Existenzängste aus, bringt traumatisierte Kriegsflüchtlinge ins Land. Auch das dürfte Folgen haben.