Yin Yin machen in der Dieselstraße zeitgemäße Weltmusik. Weitere Bilder vom Konzert am Sonntag zeigt die Fotostrecke. Foto: Jan Georg /Plavec

Die niederländische Band Yin Yin zeigt am Sonntagabend, wie zeitgemäße Weltmusik klingt. Die Esslinger Dieselstraße entwickelt sich mehr und mehr zur wichtigen Bühne für diese angesagte Stilrichtung.

Stuttgart - Das Genre Weltmusik hat nicht unbedingt den besten Ruf. Schuld ist der oftmals verunglückte Ethno-Crossover der späten 1980er und frühen 1990er Jahre: „Hauptsache exotisch“, schien damals das Motto. Die Platten aus der damaligen Zeit finden sich mittlerweile am Plattenflohmarkt irgendwo zwischen den Kartons mit Schlager und Jazz. Besonders gut gealtert ist die Musik darauf in der Regel nicht und daher oftmals Ramsch.

Dennoch ist die Weltmusik zurück auf den Bühnen jedenfalls der hiesigen Kulturzentren, allerdings in zeitgemäß. Das Konzert der Band Yin Yin am Sonntag in der Esslinger Dieselstraße ist ein Beispiel dafür – und zwar nicht nur, weil da Harmonien und Tonskalen aus dem Nahen bis Fernen Osten zum Einsatz kamen, sondern auch, weil es dafür längst keiner dem neugierigen Publikum zur Schau gestellter Musiker aus ebendiesen Weltgegenden mehr bedarf: Yin Yin stammen aus der niederländischen Provinz.

Unterwegs auf dem Hippie Trail

Im Promotext werden die Bandgründer als leidenschaftliche Plattensammler vorgestellt, deren liebste musikalische Referenz psychedelische Popmusik aus den Sechzigern und Siebzigern ist, jedenfalls wenn sie weit gereist ist. Dem originalen „Hippie Trail“ folgten schon viele mit fast popwissenschaftlicher Akribie (ein besonders gutes Beispiel hier).

Spätgeborene wie Yin Yin müssen das, was sie auf den alten Platten hören, eben mit Synthesizern ins Hier und Jetzt übersetzen. Opulente Perkussion und eine Doppelhalsgitarre gehören ebenso zum Konzept dieser popkulturellen Appropriation wie hippieske Bühnenoutfits und Tücher, hinter denen die ganze Technik verschwindet.

Nicht das einzige Konzert dieser Art

Beim Tourabschluss in Esslingen trifft die Band auf ein tanzfreudiges Publikum, das sie nicht erst mit ihrer Single „Dis kô Dis kô“ in Bewegung versetzt. Zum Konzept dieser Musik gehört es, dass die fast durchweg instrumentalen Songs quasi ineinanderfließen. Ausgiebige Gitarrensoli türmen sich auf psychedelisch-verhallten Klangteppichen, schweißnasse Haare fliegen durch die Luft und trotz der allgemein gelösten Stimmung auf der Bühne setzen Yin Yin ihre Akzente auf den Punkt – die größte Anstrengung dieser Musik ist es, scheinbar so mühelos zum Fließen zu bringen.

Yin Yin verwandeln die Dieselstraße damit in eine Art postpandemische Disko: getanzt wird mit Maske, das Grinsen dahinter erkennt man ja trotzdem. In Esslingen, wo man vor Corona unter anderem die Grammy-Gewinner Altin Gün erleben konnte, positioniert sich als wichtige Bühne für diese Art von Musik.

Am 17. November gastiert in der Dieselstraße die israelisch-persische Schauspielerin und Sängerin Liraz, acht Tage später Derya Yıldırım & Grup Şimşek. Und es ist ja nicht nur dieses Kulturzentrum: Anfang Oktober gastierte Ozan Ata Canani im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin, dessen Gastarbeiterpop die kulturelle Annäherung mittels Musik aus der anderen Richtung denkt. Wie schön, dass all das wieder möglich ist!